Moorseelen
hatte, und trotzdem hätte sie garantiert bemerkt, dass ich sie belauscht hatte, wenn wir uns begegnet wären. Mia hatte also Streit mit Zeno. Ob der Vorwurf, er betreibe »viel Aufwand« wohl auf mich gemünzt war? Und was hatte sie mit ihrem letzten Satz gemeint? Vielleicht, dass sie zur Gemeinschaft der Oase gehörte, beruhigte ich mich und versuchte, einen unbefangenen Gesichtsausdruck aufzusetzen, ehe ich betont lässig zu Zeno schlenderte, der, die Hände in den Taschen seiner Cargohose, ernst und nachdenklich auf den staubigen Boden sah.
»Na, suchst du nach Goldstaub?«, witzelte ich nicht sehr originell.
Er sah auf und seine Miene veränderte sich schlagartig. »Wozu, wenn
du
doch hier bist, Goldmarie«, zog er mich auf und zupfte spielerisch an meinen roten Haaren. Ich musste grinsen und während wir nebeneinander herliefen, erzählte er mir, die Oase feiere in sechs Wochen ihren zweiten Geburtstag. »Anfangs waren meine Mutter und ich alleine, aber es hat sich schnell herumgesprochen, was für eine coole Kommune wir hier aufziehen«, berichtete er stolz. »Ein paar der Bewohner hat auch meine Mutter angeschleppt. Sie hat damals in einer Klinik am Alexanderplatz gearbeitet. Einige kamen zu ihr, weil ihre Eltern sie übel zugerichtet hatten. Sie waren froh, dass sie mit achtzehn aus ihren kaputten Familien weg- und zu uns kommen konnten.«
Sofort musste ich an Urs denken. War er einer dieser »Fälle« gewesen? Ich sah Zeno von der Seite an. »Urs meint, du hast ihm das Leben gerettet«, sagte ich leise.
Zeno schmunzelte in sich hinein. »Ja, vielleicht. Urs ist eine treue Seele. Wen er einmal als Freund auserkoren hat, den lässt er nicht mehr los.« Es klang, als wäre Urs ein hartnäckiges Klettergewächs oder so etwas.
Inzwischen waren wir bei der Töpferwerkstatt angekommen. Große Säcke standen an der Wand aufgereiht, wahrscheinlich befand sich darin das Rohmaterial. Irina, Juli mit den Piercings und ein Mädchen, dessen Namen ich mir nicht merken konnte, saßen an gleichmäßig rotierenden Scheiben, die gesamten Unterarme mit nassgrauem Ton verschmiert. Gerade wuchs unter Julis Händen ein unförmig braungrauer Klumpen in die Höhe, streckte sich und verwandelte sich in ein schlankes, hohes Gefäß. Den Blick konzentriert auf ihr Werk gerichtet wirkte Juli wie eine Künstlerin. Fasziniert starrte ich auf ihre Finger, die so was Schönes zustande brachten. »Willst du auch mal?«, fragte Irina und ehe ich noch abwehren konnte, drängte sie mich schon auf den Hocker vor der Töpferscheibe und klatschte einen Tonklops vor mich hin. »Du musst mit dem Fuß die Scheibe in Drehung versetzen, so …«, erklärte sie. »Und jetzt hältst du die Hände um den Ton. Der Trick ist, den Ton in Form zu halten und gleichzeitig hochzuziehen als würdest du einen Kaugummi dehnen …« Ich versuchte mein Bestes – leider vergeblich: Der Ton schraubte sich schief und krumm in die Höhe. Er glich eher einer Schlange mit Rückenschmerzen als einer Vase. Zu allem Überfluss machte er sich auch noch selbstständig, wobei er mir um die Ohren flog und schlammfarbene Spritzer in meinem Gesicht hinterließ. Auch Irina bekam was ab. »Shit, sorry«, rief ich und kam mir schrecklich ungeschickt vor. Doch da ertönte herzhaftes Gelächter: Zeno fand es anscheinend wahnsinnig komisch, uns beide mit Tonspritzern im Gesicht zu sehen. Irina, Juli und das andere Mädchen fielen in das Lachen ein, ich zum Schluss. Irina legte kumpelhaft den Arm um mich: »Aller Anfang ist schwer, mach dir nichts draus«, sagte sie, und die anderen beiden nickten und lächelten mich an. Dann setzten sie sich wie auf Kommando wieder hin und die Töpferscheiben begannen erneut zu rotieren. Ich musterte die Mädchen verstohlen. Sie schienen völlig in ihrer Arbeit aufzugehen. Ein Lächeln umspielte Julis Lippen, während auf ihrer Scheibe eine bauchige Kanne entstand. Ich fühlte mich plötzlich mies. Mies, weil ich sie beneidete, alle drei. Genau wie die anderen Bewohner der Oase. Sogar beim Küchendienst hatte Lukas zufrieden gewirkt. Warum nur waren alle so glücklich hier? Wie machten die das? Ich wollte ihr Geheimnis ergründen und so werden wie sie: frei von aller Traurigkeit, von dem dauernden Grübeln und allen Selbstzweifeln. Ich hätte meine Seele dafür verkauft.
*
»Feline, aufstehen, es gibt Frühstück!«
»Bernd, lass sie doch, wenn sie nicht will.«
»Nein, Melanie, ich lasse sie nicht. Ich habe es toleriert, dass sie sich gestern
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