Moorseelen
die Situation zu retten.
»Ein Junge. Jaron«, gab sie knapp Auskunft.
»Dada«, bestätigte der Kleine und griff energisch mit beiden Händchen in Mias Locken.
In dem Moment kam Deva aus einem der Zimmer gerollt. Sie sah von mir zu Mia und lächelte. »Nun, Feline, was sagst du zu unserem jüngsten Oasianer?«, scherzte sie und zum ersten Mal fiel mir auf, wie dunkel und warm ihre Stimme klang. Irgendwie beruhigend. Ich lächelte zurück.
»Süß. Ein Jahr oder so, stimmt’s?«
Über Mias Gesicht huschte ein Schatten, eine graue Wolke, die für den Bruchteil einer Sekunde die Sonne verfinsterte. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann stockte sie. Ihre Miene glättete sich und sie lächelte bemüht. »Vierzehn Monate. Er war gerade sechs Wochen alt, als ich hierherkam. Sein Vater hat sich noch vor seiner Geburt aus dem Staub gemacht«, erklärte sie. Doch ihre Stimme klang tonlos und der Satz wie auswendig gelernt. Irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl, aber wahrscheinlich hatte sein Vater Mia sehr verletzt, als er sich verdrückte, ohne sein Kind jemals gesehen zu haben.
»Dafür habt ihr beide ja jetzt uns«, ertönte es warmherzig von Deva. Sie streckte die Arme aus und wie in einem Reflex legte Mia ihr gehorsam den kleinen Jaron hinein. »Agrrr«, gurrte der zufrieden und patschte mit seinen dicken Kinderpfoten Deva links und rechts sanft auf die Wangen. Ein strahlendes Lächeln, das die Ähnlichkeit zu Zeno unverkennbar machte, breitete sich auf dem Gesicht der gelähmten Frau aus. Sie drückte Jaron an sich, ehe ihr Blick an mir hängen blieb. »Entschuldige Feline, dich habe ich beinahe vergessen. Brauchst du was?«, fragte sie nett.
»Nein, ähm, Lukas schickt mich. Aus der Küche. Hier!« Damit reichte ich ihr die zwei Gläschen. »Das ist lieb. Stell sie einfach auf meinen Oberschenkeln ab, ich muss sowieso gleich in die Küche, um Jarons Essen warm zu machen«, sagte sie.
Weil ich zögerte – denn die Umrisse ihrer Beine unter der Decke sahen so schmal und zart aus – forderte sie schmunzelnd: »Na los, mir tut an dieser Stelle nichts weh. Nicht mehr.«
Ich bewunderte, wie gelassen sie über ihr Handicap sprach. Behutsam stellte ich die beiden Behälter ab. Mia machte einen Schritt auf den Rollstuhl zu und streckte die Arme nach Jaron aus. »Soll ich nicht …«, fing sie an, doch Deva unterbrach sie: »Mach dir keine Mühe, Liebes. Ich glaube, du hast genug zu tun.«
Ohne ein weiteres Wort wendete sie mit Hilfe eines elektrischen Hebels ihren Rollstuhl. Jaron auf dem linken Arm und mit der rechten Hand den Hebel bedienend, fuhr sie den Flur entlang. Unauffällig schielte ich zu Mia. Ihr Gesicht zeigte keine Regung. Sie wandte sich ab und ging mit steifen Schritten durch die Haustür hinaus. Ich folgte ihr.
»Passt Deva immer auf Jaron auf?«, fragte ich vorsichtig.
»Sie kann gut mit Kindern. Und Jaron … na ja, er war damals nicht geplant«, erklärte Mia.
Ich nickte, aber eine Antwort auf meine Frage war das nicht.
Mia schien zu spüren, dass ich wartete, denn sie blieb stehen und sah ausdruckslos über den staubigen Platz. »Ich war damals nicht so gut drauf. Abi geschmissen, nur rumgehangen, die ganze Nummer. Mein Vater hält mich seitdem für eine Versagerin … Und meine Mutter … die hat ihr Leben lang vor meinem Vater gekuscht.« Mias Stimme hatte einen metallenen Klang, als sie von ihren Eltern sprach. Ich konnte sie verstehen. Auch ich war von meinem Vater in letzter Zeit nur enttäuscht worden. »Ich war echt froh, von zu Hause weg zu sein«, sagte Mia eher zu sich als zu mir. Dann schien sie zu realisieren, dass sie gerade ziemlich viel von sich preisgegeben hatte. Sie presste ärgerlich die Lippen zusammen und murmelte was von »Schmuck basteln« und »schon zu lange rumgetrödelt«, ehe sie hastig den Weg zu einem kleinen Seitengebäude einschlug. Ich hätte gerne gewusst, wie sie Zeno kennengelernt hatte. Aber sie hatte so abweisend dreingeblickt, dass ich mich nicht traute. Vielleicht war Mia ja nicht der mütterliche Typ und mit einem Kleinkind überfordert. Und Deva hatte mit Jaron etwas, das sie von ihrem traurigen Schicksal im Rollstuhl ablenkte. So war beiden gedient.
Erst beim Abendessen sah ich Mia wieder. Sie winkte mir kurz zu, setzte sich aber ans andere Ende des Tisches, so als wollte sie bewusst Abstand zwischen uns bringen. Das Essen bestand aus einem faden Erbseneintopf. Es war mir ein Rätsel, wieso wir eine so geschmacklose Pampe
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