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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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genommen hatten, ein Heimplatz finanziert würde. Und meine Kasse klingelte. Drehte einer sich um und wollte gehen, ohne etwas zu kaufen, lief ich ihm hinterher und redete so lange auf ihn ein, bis er zurückkam und sich doch etwas aussuchte. Ein paar drückten mir auch einfach Geld in die Hand, damit ich sie in Ruhe ließ. Jeder Cent war ein Triumph für mich. Nur manchmal, wenn ein Schein in meiner Hand knisterte oder ein paar Münzen klimpernd den Besitzer wechselten, machte sich ein Unwohlsein in mir breit. Einmal war ich sogar überzeugt, der Geist meiner Mutter wäre hier. Fast konnte ich ihr Kopfschütteln sehen: weil ich nur an das Geld für die Oase dachte. Und dafür Menschen manipulierte und an ihrem Mitleid verdiente.
    »Geh weg«, flüsterte ich meiner Mutter zu. »Du hast mich alleingelassen! Jetzt muss ich an mich denken!« Tatsächlich verschwand das Gefühl, beobachtet zu werden. Sofort nahm ich den nächsten Passanten ins Visier und redete mir ein, dass ich es schließlich für einen guten Zweck tat. Ich bereicherte mich ja nicht selbst, sondern verdiente den Lebensunterhalt für eine Gemeinschaft, die für eine bessere Welt kämpfte. Gleich fühlte auch ich mich besser. Das hielt jedoch nur so lange an, bis ich zwei Frauen, die von Kopf bis Fuß in Naturfasern gekleidet eingehakt bei mir stehen geblieben waren, drei Armbänder verkauft hatte. Eben war ich mit meiner Story fertig, der Erlös sei für unsere Umweltschutzinitiative, und hatte die zwanzig Euro in einer Blechschachtel verstaut, als ich jemanden meinen Namen sagen hörte. Ich riss den Kopf hoch: Vor mir stand Nick.
    Ein eiskalter Schock lähmte mich, obwohl ich am liebsten einfach davongerannt wäre. Die Wahrscheinlichkeit, in Berlin jemandem zufällig zu begegnen, war ungefähr so hoch wie die Chance auf einen Sechser im Lotto. Und ausgerechnet jetzt, da ich mit meinem alten Leben abgeschlossen hatte, holte es mich in Gestalt eines Mitschülers ein.
    »Was machst du denn hier?«, stotterte ich.
    Nick musterte mich befremdet. »Dasselbe wollte ich dich fragen! Seit wann verscherbelst du Schmuck – und was war das eben für eine Story, die du den zwei Ladies da erzählt hast?«, gab er zurück. »Und überhaupt, dein Vater sucht dich. Mich hat er auch angerufen. Sogar auf Facebook hat er einen Aufruf gestartet. Der macht sich echt Sorgen«, setzte Nick hinzu.
    Beim letzten Satz hörte ich gar nicht mehr richtig zu, so erschrocken war ich. Was, wenn Nick mich vor Lukas, Urs und Irina, die ein paar Meter weiter Gemüse und Pesto anboten, auffliegen ließ – oder sogar die Polizei holte? In meinem Kopf fuhren die Gedanken wild Karussell. Ich musste ihn loswerden und zwar schnell!
    »Ich verdiene mir hier ein bisschen Kohle dazu. Mein Vater weiß längst Bescheid«, log ich. »Wieso lässt du mich nicht einfach in Ruhe und gehst dir ein Bier holen oder so?«, fügte ich in dem künstlich-munteren Tonfall des Animateurs im schlechtesten Ferienclub jenseits des Mittelmeers noch an.
    Leider kaufte Nick mir meine gute Laune nicht ab, denn er musterte mich besorgt. »Du warst vor den Ferien ein paar Tage nicht in der Schule«, stellte er fest.
    »Ja und?«, gab ich zurück. Was ging Nick mein Leben an?
    »Ich habe nach dir Ausschau gehalten«, meinte er.
    Angst kroch in mir hoch. »Hör zu, ich will nicht darüber reden, also tu mir einen Gefallen und lass mich mein Ding machen, okay?«, sagte ich und hoffte, ihn damit loszuwerden. Fehlanzeige.
    »Aber was
machst
du hier? Ist das dein Schmuck? Sieht so aus wie das Zeug, das diese Hippies neulich im Görlitzer Park verscherbelt haben«, sagte Nick und nahm die bunten Stücke in Augenschein.
    Jetzt bekam ich wirklich Panik. Wahrscheinlich würde er sofort meinem Vater Bescheid sagen. Auf keinen Fall wollte ich aber riskieren, dass Nick rauskriegte, wo ich jetzt lebte. Ich musste ihn verjagen, daher packte ich den verbalen Holzhammer aus: »Du merkst nicht, wann es reicht, oder? Aber das war genau der Grund, warum ich mich nie mit dir treffen wollte. Du bist einfach eine Nervensäge auf zwei Beinen, Nick!« Während ich ihm die Beleidigung um die Ohren schlug, sah ich mich verstohlen um, ob die anderen Oasianer inzwischen aufmerksam geworden waren. Zum Glück waren sie alle damit beschäftigt, den Vorbeiflanierenden Kartoffeln, Möhren und Pestogläser zu verkaufen. Mein Blick schweifte zurück zu Nick. Er wirkte wie jemand, der gerade einen kalten, nassen Waschlappen ins Gesicht bekommen hatte.

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