Moorseelen
Gespräch was davon gefaselt, dass Blondie gegen die Regeln verstoßen hat. Irgendwas mit Bonbons, die er verbotenerweise irgendwo versteckt und irgendjemandem gegeben hatte. Ich meine, sind wir hier im Kindergarten?«
Ich zuckte zusammen, weil ich daran denken musste, dass Lukas tatsächlich mit Espresso gefüllte Schokobonbons aus einem Versteck geholt und mir gegeben hatte. Aber das war doch völlig harmlos. Ob Urs tatsächlich diesen Vorfall gemeint hatte und Lukas tatsächlich
dafür
bestraft worden war? Im ersten Moment tat ich das als Blödsinn ab. »Da hast du garantiert was falsch verstanden«, unterbrach ich Nicks Gemecker. Doch ein kleiner Zweifel schlich sich leise und katzengleich in mein Bewusstsein. Ich sah das blasse, erschöpfte Gesicht des Rastajungen vor mir. »Ich faste, wenn es nötig ist«, hatte er damals gesagt. Bisher war ich davon ausgegangen, dass er das aus eigener Überzeugung, aus Idealismus oder des Entschlackens wegen durchgezogen hatte. Konnte es wirklich anders gewesen sein? Hatte Lukas nicht freiwillig aufs Essen verzichtet? Und was, wenn Mia auch für irgendwas bestraft werden sollte, sie sich aber gegen Zeno aufgelehnt hatte? Wäre sie dann nicht doch rausgeworfen worden, statt – wie alle behaupteten – freiwillig gegangen zu sein?
Sofort verdrängte ich diesen Verdacht energisch. Ich fing eindeutig an zu spinnen. Hier in der Oase wurde niemand zu etwas gezwungen, das hatte Zeno mir selbst gesagt – und kein weiteres Wort darüber verloren, als ich nach einem Tag mein selbst auferlegtes Fasten beendet hatte. Wahrscheinlich hatte Nick sich das mit dem belauschten Gespräch nur ausgedacht, um mich zu verunsichern. Er wollte einen Keil zwischen mich und die Bewohner der Oase treiben. Weil er eifersüchtig auf Zeno war. Der kam natürlich mit seiner charmanten, lustigen Art viel besser bei allen an als Nick mit seiner pubertären Rotzigkeit. Jedenfalls wollte ich das glauben. Die Tatsache, dass er von Lukas’ Fastentag tatsächlich nur durch Urs wissen konnte, weil Nick erst in die Oase gekommen war, als Lukas das Fasten schon abgebrochen hatte, verdrängte ich. Immerhin verschwanden meine Zweifel und machten einem erneuten Groll auf Nick Platz. Höchste Zeit, dass er verschwand.
»Hör mal, ich finde es echt mies, wie du versuchst, mich aufzuhetzen«, sagte ich.
Nick fiel fast das Messer aus der Hand: »Wie bitte …?«, setzte er an, aber ich unterbrach ihn.
»Wenn es dir hier nicht passt, dann zwingt dich keiner, zu bleiben. Wieso baust du nicht einfach deine Zündkerzen wieder in deinen Roller und machst dich vom Acker?«, fragte ich ihn. Und fügte kumpelhaft hinzu: »Ich glaube, das wäre für alle die beste Lösung.«
Nick presste kurz die Lippen aufeinander. Dann aber feixte er breit und sah mich herausfordernd an. »Och, ich finde es hier gar nicht so übel«, sagte er betont harmlos. »Ich glaube sogar, ich bleibe noch ein paar Tage. Vielleicht lerne ich ja auch, der gute Mensch von Sezuan zu werden, so wie dieser Zeno«, fügte er hinzu und seine Stimme triefte vor Ironie.
»Spinnst du? Du bleibst auf keinen Fall hier«, rutschte es mir reflexartig raus.
»Ach nee! Und wieso nicht? Störe ich dich bei irgendwas?«, fragte Nick zuckersüß.
Der Wunsch, ihn mit dem Wiegemesser in ebenso akkurate, feine Streifen zu schneiden wie das Basilikum war fast übermächtig, aber ich beherrschte mich. Wenn gutes Zureden nichts half, würde ich ihn eben anders vergraulen. »Pass mal auf, ich kann auf der Stelle zu Zeno gehen und ihm stecken, dass du noch nicht volljährig bist«, drohte ich. »Dann fliegst du schneller hier raus, als du ›Zündkerzen wechseln‹ sagen kannst!«
Nick gab nur ein belustigtes Zischeln von sich. »Tss, dann machen wir aber einen Tandemflug, Feline«, sagte er hämisch. »Denn dann stecke
ich
nämlich Zeno, dass wir beide in dieselbe Klasse gehen. Ergo kannst du nur wenig älter sein als ich. Und wenn ich ihm erst erzähle, dass dein Vater dich als vermisst gemeldet hat, brennt hier der Hut. Überleg’s dir also gut, ob du zu deinem Idol rennst …«
Ich starrte ihn fassungslos an. »Das ist Erpressung«, fauchte ich.
Nick zuckte die Schultern. »Hängst du mich nicht hin, hänge ich dich nicht hin«, sagte er gleichmütig. »Ich würde das eher einen fairen Deal nennen.«
Ich gab keine Antwort. Was hätte ich auch sagen sollen? Nick hatte mich in der Hand. Schweigend drehte ich mich von ihm weg und begann die Mohrrüben, die Urs gebracht
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