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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Kopf. In seinem blassen Gesicht schienen seine Augen förmlich zu glühen und in dem Blick, den er mir zuwarf, lag eine solche Abneigung, dass es mich schauderte. Was hatte er nur gegen mich? Ich war zwar ein paarmal nicht besonders nett zu ihm gewesen, aber schließlich hatte er mich provoziert. Und selbst wenn er mich nicht leiden konnte – einen Grund, mich abgrundtief zu hassen, hatte ich ihm nie gegeben. Ich beschloss, ihm in Zukunft einfach konsequent aus dem Weg zu gehen. Für heute schien sich eine mögliche Begegnung sowieso zu erledigen, denn unvermittelt sprang Urs auf und lief hastig nach draußen. Also doch Magen-Darm-Grippe, dachte ich.
    Weil mir die Lust vergangen war, den anderen beim Essen zuzusehen, verließ ich ebenfalls den Speiseraum. Außerdem wollte ich es vermeiden von Nick abgepasst zu werden. Ich bereute bereits, ihm überhaupt von Mia erzählt zu haben. Erstens, weil ich das Gefühl hatte, ich wäre einen Moment lang einfach hysterisch geworden. Und zweitens, weil Nick jetzt wahrscheinlich dachte, er könnte sich an mich dranhängen. Genau das wollte ich aber um jeden Preis vermeiden. Ich mochte Nick, aber eben nicht
so
. Und außerdem wäre er mir in Bezug auf Zeno nur im Weg.
    Bei dem Gedanken an seinen Kuss gestern im Kräutergarten und wie er heute erneut mit mir geflirtet hatte, spürte ich das flirrende Summen eines Bienenschwarms in meinem Bauch. Eigentlich hatte ich den Gemeinschaftsraum nur seinetwegen verlassen. Ich war nicht besser als eine Süchtige auf der Suche nach Stoff, nur gierte ich nach Zenos Nähe. Ich wollte ihn finden und … ja was wollte ich eigentlich? Ihn fragen, warum er mich erst küsste, aber dann doch wieder einen Rückzieher machte? Oder diesmal die Initiative ergreifen und
ihn
küssen?
Oder dich total zum Narren machen!
, wisperte eine gehässige innere Stimme. Sie war es, die mich zur Vernunft brachte. Ärgerlich über mich selbst verlangsamte ich meine Schritte. Hatte Nick recht? Lief ich Zeno nach wie ein Groupie seinem angebeteten Rockstar? Andererseits: Suchte
er
nicht immer wieder absichtlich meine Nähe – auch körperlich?
    Ins Grübeln versunken schlug ich den Weg zum Kräutergarten ein. Auf einmal drangen erstickte Laute und eine männliche Stimme an mein Ohr. Es klang, als würde jemand erwürgt. Sofort dachte ich an Nick. Hatte er etwa den Bogen überspannt und mit seiner großen Klappe einen Bewohner der Oase dazu gebracht, alle Prinzipien von Gemeinschaft und Gewaltfreiheit zu vergessen? Bei Nicks blöden Sprüchen hätte es mich ehrlich gesagt nicht gewundert. Vorsichtig schlich ich näher und lugte hinter einem Stachelbeerstrauch hervor, dessen Früchte in etwa drei Wochen reif sein würden. Zu meiner Verblüffung erblickte ich jedoch Urs. Er kniete auf dem Boden. Wollte er für irgendwelche Sünden um Verzeihung bitten? Neben ihm stand der unförmige Rollstuhl. Deva saß mit dem Rücken zu mir. Das ganze Szenario sah irgendwie skurril aus und erinnerte an einen Ausschnitt aus einem Kirchengemälde – der arme Sünder tut Buße oder so.
    In diesem Moment setzten die röchelnden Laute wieder ein und schlagartig wurde mir klar, dass Urs keine Buße tat – oder höchstens für ein kulinarisches Vergehen: Der dickliche Junge kotzte sich gerade die Seele aus dem Leib. Deva rollte ein Stück näher. Besänftigend tätschelte sie ihm den Rücken, dann lenkte sie ihren Rollstuhl auf dem gepflasterten Weg geschickt zu dem kleinen Brunnen, der in der Mitte des Gartens stand und aus dessen Kupferrohr beständig Wasser in den hölzernen Trog sprudelte. Deva tauchte ein weißes Taschentuch in das Rund. Unwillkürlich duckte ich mich tiefer hinter den dichten Strauch. Ich wollte nicht bemerkt werden, sondern erst einmal beobachten, was passierte.
    Taumelnd kam Urs auf die Beine. Deva reichte ihm das nasse Tuch und er drückte es sich stöhnend auf Stirn und Mund. Dabei murmelte er dumpf etwas, das ich nicht verstand. Dafür drang Devas Stimme deutlich zu mir herüber und ich bemerkte verwundert ihren ungewohnt scharfen Tonfall.
    »Reiß dich zusammen! Es hätte nicht passieren dürfen, aber es hat keinen Sinn, über vergangene Fehler zu jammern!«
    Der stämmige Urs schien sich in einen gescholtenen Schuljungen verwandelt zu haben, er stand mit hängendem Kopf da und hatte den Blick starr auf den Boden gerichtet. Mit weinerlicher Stimme erwiderte er etwas, das sich für mich wie »Halte das nicht aus« klang. Deva legte den Kopf in den Nacken. Sie sah

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