Mops und Möhren
ausgiebig.
Tatsächlich schaffen wir es trotz Berufsverkehr und dem üblichen Stau am Hauptbahnhof einigermaßen in der versprochenen Zeit zum Einsatz. Der Anruf kam aus Hedelfingen. Navi sei Dank finden wir die Wohnanlage rasch. Leider können wir nicht bis zum Haus vorfahren, sondern müssen auf dem Gemeinschaftsparkplatz halten. Der Weg zum Haus ist viel zu schmal für einen Rettungswagen. Für uns kein Problem, unsere Patienten lassen sich ja meist auf den Armen oder in Transportboxen zum Wagen bringen. Für menschliche Notfälle ist das aber ungeeignet – und für verkaterte Retter auch. Wir kommen ziemlich ins Schwitzen und Schnaufen, als wir mit dem schweren Notfallkoffer zu Fuß anrücken. Ich betätige die Klingel bei ›Baumann‹.
»Ja?«, knarzt es aus der Sprechanlage.
»Tierrettung«, antworte ich.
»Vierter Stock«, kommt es zurück. Ich stöhne. Arne murrt. Gefühlte 40 Stockwerke später erreichen wir den Notfall. Frau Baumann erwartet uns schon an der Tür.
»Die Mona ist ganz komisch, gut, dass Sie endlich da sind!« Ich schätze die Frau auf Mitte 40. Und etwa so viele Kilos. Aber was sie nicht am Körper hat, gleicht sie durch eine traumhafte Blondmähne aus. Ich bin ein bisschen neidisch auf diese Haarpracht und stapfe hinter ihr und Arne in die Wohnung. Sie führt uns ins Wohnzimmer. Neben dem Sofa ist ein Katzenkörbchen, in dem die Patientin liegt: eine weiße Katze mit vier schwarzen Pfoten. Frau Baumann beugt sich über die Mieze. Ihre Haarpracht fällt dabei nach vorn, und ich entdecke die Nahtstellen der künstlich eingeschweißten Haare. Sofort fühle ich mich besser.
Die Katze aber offensichtlich nicht. Sie liegt auf der Seite, der Bauch ist aufgedunsen. Das Tier maunzt und schlägt mit dem Schwanz, als wolle es Fliegen verjagen.
»Darf ich?«, fragt Arne sanft und schiebt Frau Baumann zur Seite. Ich platziere derweil den Koffer auf dem Wohnzimmertisch, klappe ihn auf und stoße dabei eine Kerze um. Die Hausherrin registriert das vor lauter Sorge um das Tier gar nicht.
»Und?«, will sie wissen. »Ist es schlimm?«
»Moment bitte, er muss das Tier ja erst einmal untersuchen. Aber die Katze ist jetzt in besten Händen«, versuche ich die Frau zu beruhigen. Arne tastet derweil Monas Bauch ab. Schaut ihr ins Maul. Lässt sich das Stethoskop reichen. Hebt den Schwanz der Katze an. Streicht über den After – und hält einen blutigen behandschuhten Finger in die Höhe.
»Oh mein Gott!« Frau Baumann schlägt die Hand vor den Mund und sinkt auf das Sofa.
»Haben Sie nur diese Katze?«, will Arne wissen. Die Frau nickt. Ihre Lippen im kreidebleich gewordenen Gesicht öffnen und schließen sich, ohne dass ein Ton herauskommt.
»Ist die Katze Freigängerin?«
Wieder nickt Frau Baumann.
»Und wie alt ist sie?«
»Das weiß ich nicht«, stammelt die Frau. »Vielleicht ein Jahr. Ich habe sie aus dem Tierheim. Die war so mager. Aber in letzter Zeit hat sie ordentlich zugelegt.«
Mona rappelt sich auf die Vorderpfoten, robbt ein paar Zentimeter und lässt sich schwer atmend auf die Seite fallen. Arne hebt den Schwanz des Tieres hoch. Die Katze keucht. Etwas Weißes, das aussieht wie eine ungekochte Leberwurst, flutscht zwischen ihren Beinen heraus.
»Was ist das?«, schreit Frau Baumann mit zitternder Stimme.
»Nachwuchs«, verkündet Arne und grinst.
»Aber … « Fassungslos starrt die Besitzerin ihre Katze an. »Sie ist doch so jung!«
»Für eine Katze nicht«, antworte ich. Und ärgere mich. Wieder ein Wurf Kätzchen mehr – dabei platzen die Tierheime schon aus allen Nähten. Aber Katzenhalter lassen nun mal lieber Kater kastrieren. Das ist billiger, als den Eingriff an einer Kätzin vorzunehmen. Und dann hat man den Salat. In diesem Fall ein schneeweißes Knäuel, das Mona liebevoll per Schleckmaul aus der Fruchtblase befreit. Kaum ist das Neugeborene freigeleckt, sucht es auch schon nach den Zitzen. Ich knie neben Arne und bekomme Gänsehaut. So tragisch das Katzenelend ist, eine Geburt ist doch immer wieder ein ganz besonderer und magischer Moment. Und diese hier ist noch lange nicht zu Ende. Arne hockt sich auf den Hintern, ich tue es ihm gleich. Frau Baumann ist zur Salzsäule erstarrt. Außer dem Ticken der Wanduhr, dem leisen Maunzen der werdenden Mutter und dem Schmatzen des ersten Kätzchens ist nichts zu hören. Und dann geht es Schlag auf Schlag: Eine knappe halbe Stunde später liegt Mona erschöpft auf der Seite – und fünf putzmuntere Babys nuckeln an
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