MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Senator geworden. Mit dem breiten Purpurstreifen auf der rechten Schulter seiner Tunika stand er, der Quästor, neben seinem Konsul.
Obwohl Marius die fasces , die durch karmesinrote Bänder zusammengehaltenen Rutenbündel, im Monat Januar nicht führte - sie wurden bis zu den Kalenden des Februars dem ersten Konsul Cassius vorangetragen -, berief er am folgenden Tag den Senat zu einer Sitzung ein.
Fast alle Senatoren kamen, denn sie trauten Marius nicht. »Senatoren«, begann Marius, »Rom führt gegenwärtig an mindestens drei Fronten Krieg, Spanien nicht mitgerechnet. Wir brauchen Armeen, um gegen König Jugurtha zu kämpfen, gegen die Skordisker in Makedonien und gegen die Germanen in Gallien. In den fünfzehn Jahren seit dem Tod von Gaius Gracchus haben wir aber auf den verschiedenen Schlachtfeldern sechzigtausend römische Soldaten verloren. Tausende Soldaten taugen nicht mehr für den Dienst in der Armee. Ich wiederhole es, eingeschriebene Väter des Senats: fünfzehn Jahre. Nicht einmal eine halbe Generation.«
In der Curia war es totenstill. Unter den Senatoren saß Marcus Junius Silanus, der erst vor knapp zwei Jahren über zwanzigtausend Soldaten verloren hatte, ein Drittel der Gesamtverluste. Der Hochverratsprozeß gegen ihn war noch nicht abgeschlossen. Noch nie hatte jemand gewagt, die Zahl der insgesamt gefallenen Soldaten im Senat auszusprechen, aber alle Anwesenden wußten, daß Marius eher zu vorsichtig geschätzt hatte. Sie waren wie betäubt von den Zahlen.
»Wir können die Reihen unserer Armeen nicht mehr auffüllen«, fuhr Marius fort. »Aus einem einfachen Grund: Wir haben nicht mehr genügend Männer. Schon der Mangel an römischen Bürgern und Männern latinischen Rechts ist erschreckend, aber der Mangel an Männern unserer italischen Bundesgenossen ist noch viel schlimmer. Auch wenn wir in jedem Bezirk südlich des Arno Truppen ausheben, bekommen wir nicht annähernd so viele Soldaten zusammen, wie wir dieses Jahr im Feld brauchen. Unsere africanische Armee unter Quintus Caecilius Metellus besteht aus sechs gut ausgebildeten und ausgerüsteten Legionen. Ich nehme an, sie wird nach ihrer Rückkehr aus Africa von meinem geschätzten Kollegen Lucius Cassius übernommen und im fernen Gallien gegen die Tolosater eingesetzt. Auch die makedonischen Legionen sind gut ausgerüstet und bestehen aus erfahrenen Soldaten. Sie werden, davon bin ich überzeugt, unter Marcus Minucius und seinem jüngeren Bruder weiterhin gute Arbeit leisten.«
Marius machte eine Pause, um Atem zu holen. Die Senatoren hingen an seinen Lippen. »Bleibt das Problem einer neuen africanischen Armee. Quintus Caecilius Metellus hatte sechs volle Legionen zu seiner Verfügung. Ich denke, daß ich notfalls mit vier Legionen auskommen kann. Aber Rom hat keine vier Legionen in Reserve! Rom hat nicht einmal eine Legion in Reserve! Um euer Gedächtnis aufzufrischen, zähle ich euch jetzt im einzelnen auf, wie viele Soldaten man für vier Legionen braucht.«
Gaius Marius brauchte dazu kein beschriebenes Wachsplättchen. Gelassen trat er einen Schritt vor seinen elfenbeinernen kurulischen Amtsstuhl auf der erhöhten Bühne des Konsuls und nannte die Zahlen aus dem Kopf: »Auf eine volle Legion kommen 5 120 Fußsoldaten, dazu 1280 nichtkämpfende Freie und weitere 1000 nichtkämpfende Sklaven. Dann haben wir die Kavallerie: 2000 Reiter, dazu 2000 nichtkämpfende Freie und Sklaven zur Versorgung der Pferde. Ich muß also irgendwo 20 480 Fußsoldaten, 5120 nichtkämpfende Freie, 4000 nichtkämpfende Sklaven, 2000 Reiter und 2000 nichtkämpfende Männer zur Versorgung der Kavallerie herbekommen.«
Er ließ seine Augen über die Senatoren schweifen. »Es war noch nie schwer, Männer für den nichtkämpfenden Teil der Truppe zu finden, und das wird, denke ich, auch diesmal nicht schwer sein. Für sie gibt es keine untere Einkommensgrenze, sie können so arm sein wie der ärmste Bauer im Gebirge. Auch die Kavallerie ist kein Problem. Rom hat schon seit vielen Generationen keine römischen oder italischen Reiter mehr in die Schlacht geschickt, und trotzdem mangelt es uns nicht an Reitern. Wir finden sie in Ländern wie Makedonien, Thrakien, Ligurien und Gallia Transalpina, und sie bringen ihre eigenen Knechte und Pferde mit.«
Diesmal machte er eine längere Pause, den Blick nachdenklich auf einige Senatoren in der ersten Reihe gerichtet - Scaurus, Catulus Caesar, der sich vergeblich um das Konsulat beworben hatte, den Pontifex Maximus
Weitere Kostenlose Bücher