MoR 02 - Eine Krone aus Gras
er war über das Verhalten seiner Nichte heute morgen entsetzt gewesen. Ein Kind, das seine Mutter verpetzte! Es wäre Servilia wahrlich recht geschehen, wenn er zugelassen hätte, daß Caepio sie enterbt hätte.
Die kleine Servilia trat zu dem Brunnen im Säulengarten, und Drusus wurde aus seinen unerquicklichen Gedanken gerissen. Er sah seine Nichte kalt an.
»Servilia, da du dich heute morgen in die Gespräche der Erwachsenen eingemischt hast, informiere ich dich am besten selbst darüber, daß dein Vater beschlossen hat, sich von deiner Mutter scheiden zu lassen.«
»Ah, das ist aber sehr gut«, sagte Servilia befriedigt. »Ich packe und gehe zu ihm.«
»Das tust du nicht«, erwiderte Drusus. Dann sagte er sehr deutlich: »Er will dich nämlich nicht.«
Das Kind wurde so blaß, daß Drusus unter normalen Umständen erschrocken wäre und sie gebeten hätte, sich hinzulegen. So aber blieb er stehen und sah sie nur unfreundlich an. Sie fiel jedoch nicht in Ohnmacht, sondern gewann ihre Fassung zurück und lief tiefrot an.
»Ich glaube dir nicht«, sagte sie. »Mein Vater würde mir das nie antun, das weiß ich genau!«
Drusus zuckte die Schultern. »Wenn du mir nicht glaubst, dann vergewissere dich doch selbst. Er wohnt nicht weit weg, nur ein paar Häuser weiter bei Lucius Marcius Philippus. Geh zu ihm und frag ihn.«
»Das werde ich auch«, sagte Servilia hochmütig und trabte davon. Das Kindermädchen wollte ihr nacheilen.
»Laß sie gehen, Stratonice«, meinte Drusus. »Aber behalte sie im Auge und sieh zu, daß sie wieder zurückkommt.«
Wie unglücklich alle sind, dachte Drusus. Er setzte sich neben den Brunnen. Und wie unglücklich ich selbst wäre, hätte ich nicht meine geliebte Servilia Caepionis und unseren kleinen Sohn — und das Leben, das in ihrem Bauch wächst. Dann erwachte die Lust in ihm, sich an Servilia dafür zu rächen, da er seine Wut nicht an ihrem Vater auslassen konnte. Aber als die Sonne seine Knochen wärmte und er sich nach und nach beruhigte, gewann sein alter Sinn für Gerechtigkeit wieder die Oberhand, und er wurde wieder der alte Marcus Livius Drusus, der Anwalt der ungerecht Behandelten. Quintus Servilius Caepio würde er allerdings nie verteidigen, mochte ihm auch noch soviel Unrecht widerfahren sein.
Als Servilia zurückkam, saß Drusus immer noch neben dem Brunnen. Der Wasserstrahl aus dem Maul des schuppigen Delphins glänzte silbrig. Drusus hatte die Augen geschlossen und wirkte entspannt.
»Onkel Marcus!« sagte sie scharf.
Er machte die Augen auf und rang sich ein Lächeln ab. »Da bist du ja wieder! Was ist passiert?«
»Er will mich nicht. Er behauptet, ich sei nicht seine Tochter, ich sei von einem anderen Mann.«
»Das habe ich dir ja schon vorher gesagt, aber du wolltest mir ja nicht glauben.«
»Warum sollte ich auch. Du bist auf ihrer Seite.«
»Servilia, sei nicht so hart gegen deine Mutter. Ihr ist Unrecht geschehen, nicht deinem Vater.«
»Wie kannst du das sagen. Sie hatte einen Liebhaber.«
»Wenn dein Vater netter zu ihr gewesen wäre, hätte sie sich keinen Liebhaber genommen. Es gibt keine Entschuldigung für einen Mann, der seine Frau schlägt.«
»Er hätte sie töten sollen, nicht schlagen. Zumindest hätte ich das getan!«
Drusus gab auf. »Mach, daß du wegkommst, du schreckliches Mädchen!«
Hoffentlich lernt sie etwas aus der Zurückweisung ihres Vaters, dachte er. Mit der Zeit würde sie ihrer Mutter schon näherkommen. Das war nur normal.
Da Drusus hungrig war, aß er kurz darauf mit seiner Frau Brot, Oliven und hartgekochte Eier und erzählte ihr genauer als bisher, was an diesem Tag alles passiert war. Er wußte, daß seine Frau die der Familie Servilius Caepio eigenen strengen Vorstellungen von Standesgemäßheit und Würde teilte, deshalb war er sich nicht sicher, wie sie darauf reagieren würde, daß ihre Schwägerin wegen eines Verhältnisses mit dem Nachfahren eines Sklaven geschieden werden würde. Aber Servilia Caepionis liebte Drusus zu sehr, als daß sie sich jemals gegen ihn gestellt hätte, auch wenn sie enttäuscht war, als sie hörte, wer der Geliebte ihrer Schwägerin gewesen war. Sie hatte schon vor langer Zeit erfahren müssen, daß man es in einer Familie nicht allen recht machen konnte, und sie hatte sich vorgenommen, immer zu Drusus zu halten. Die Jahre, in denen sie mit Caepio zusammen unter einem Dach gelebt hatte, hatten ihn ihr nicht sympathischer gemacht. Sie war längst nicht mehr das unsichere Kind
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