MoR 02 - Eine Krone aus Gras
angeklagt?« fragte Scaevola, der noch immer ganz verstört war.
»Du hast zu viele Freunde, Quintus Mucius.«
»Und Publius Rutilius hat nicht genügend Freunde. Das ist eine Schande. Ich sage dir, wir können es uns nicht leisten, Publius Rutilius zu verlieren! Er ist ein unabhängig denkender Mann, und das ist selten.« Scaurus war wütend.
»Ich glaube nicht«, sagte Drusus vorsichtig, »daß es uns jemals gelingen wird, den Rittern die Gerichtshoheit vollständig abzuerkennen. Wenn schon das Gesetz des Konsuls Caepio scheiterte — und das ist ja bekanntlich der Fall —, sehe ich keine Möglichkeit, wie wir es durch irgendein anderes Gesetz schaffen können, die Gerichte wieder dem Senat zu unterstellen. Der Ritterstand hat sich daran gewöhnt, für die Rechtssprechung verantwortlich zu sein, und diese Verantwortung hat er nun seit über dreißig Jahren inne. Die Ritter lieben die Macht, die sie damit über den Senat haben. Und nicht nur das: Die Ritter sind auch überzeugt, sich korrekt verhalten zu haben. Im Gesetz des Gaius Gracchus steht nicht ausdrücklich, daß ein mit Rittern besetztes Gericht schuldfähig ist, wenn es Bestechungsgelder annimmt. Die Ritter verweisen auf die lex Sempronia, in der festgelegt ist, daß sie nicht angeklagt werden können, wenn sie als Geschworene Bestechungsgelder annehmen.«
Crassus Orator starrte Drusus entsetzt an. »Marcus Livius, du bist bei weitem der beste Mann im Prätorenalter!« rief er aus. »Wenn schon du solche Dinge sagst, welche Chancen hat dann der Senat noch?«
»Ich habe nicht gesagt, daß der Senat die Hoffnung aufgeben sollte, Lucius Licinius«, erwiderte Drusus. »Ich habe nur gesagt, daß die Ritter sich weigern werden, die Gerichtshoheit abzugeben. Aber wie wäre es, wenn wir sie in eine Lage bringen würden, in der sie gar keine andere Wahl haben, als die Gerichtshoheit mit dem Senat zu teilen? Die Plutokraten haben Rom noch nicht unter ihrer Gewalt, und sie wissen es. Warum kann nicht jemand ein Gesetz einbringen, das die Zuständigkeit der höheren Gerichte neu regelt, wobei die Besetzung der Gerichte je zur Hälfte vom Senat und vom Ritterorden vorgenommen wird?«
Scaevola atmete tief ein. »Die Ritter könnten einen solchen Vorschlag eigentlich nicht ablehnen — er müßte ihnen wie ein Friedensangebot des Senats erscheinen. Welche Regelung könnte gerechter sein, als die Zuständigkeit aufzuteilen? Der Senat kann dann nicht mehr beschuldigt werden, er wolle dem Ritterstand die Zuständigkeit für die Gerichte wegnehmen, nicht wahr?«
Crassus Orator nickte lachend. »Wirklich ein kluger Vorschlag, Marcus Livius! Die Senatoren halten immer zusammen. Aber es gibt immer ein paar ehrgeizige Ritter, die gerne zum Senat gehören möchten. Ihr Ehrgeiz fällt nicht ins Gewicht, solange sich das Gericht nur aus Rittern zusammensetzt. Aber wenn das Gericht nur zur Hälfte aus Rittern besteht, können sie das Kräftegleichgewicht zu unseren Gunsten verändern. Klug ausgedacht, Marcus Livius!«
»Und wir könnten argumentieren«, sagte der Pontifex Maximus Ahenobarbus, »daß wir Senatoren über so wertvolle Rechtskenntnisse verfügen, daß die Gerichte durch unsere Anwesenheit bereichert würden. Und daß wir schließlich fast vierhundert Jahre lang die ausschließliche Gerichtshoheit besaßen! Wir könnten sagen, daß in diesen modernen Zeiten eine solche Ausschließlichkeit nicht mehr zulässig ist, daß aber auch der Senat nicht ausgeschlossen werden darf.« Aus der Sicht des Pontifex Maximus war dies eine vernünftige Argumentation. Seine Haltung hatte sich seit seinen Erfahrungen als Richter in Alba Fucentia unter der lex Licinia Mucia etwas gemildert, obwohl er Crassus Orator sonst gar nicht zugetan war. Und doch standen sie nun hier nebeneinander, vereint durch die Interessen und Privilegien ihrer Klasse.
»Ein guter Gedanke!« strahlte Antonius Orator.
»Das meine ich auch«, sagte Scaurus. Er sah Drusus an. »Willst du das als Prätor tun, Marcus Livius? Oder soll es jemand anders tun?«
»Ich werde es selbst tun, Senatsvorsitzender, aber nicht als Prätor«, antwortete Drusus. »Ich will als Volkstribun kandidieren.«
Alle atmeten hörbar ein und sahen Drusus an.
»In deinem Alter?« fragte Scaurus.
»Mein Alter ist eindeutig ein Vorteil«, erklärte Drusus gelassen. »Ich bin zwar alt genug, um Prätor zu werden, aber ich will dennoch Volkstribun werden. Niemand kann mir vorwerfen, zu jung, zu unerfahren oder hitzköpfig zu sein,
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