MoR 02 - Eine Krone aus Gras
stellen.
Drusus kündigte seine Kandidatur für das Volkstribunat erst am Morgen der Wahlen an. Normalerweise wäre dies ein törichtes Verhalten gewesen — in diesem Falle erwies es sich als glänzende Entscheidung. Bohrende Fragen während des Wahlkampfes blieben ihm dadurch erspart, und es schien, als habe er, nachdem er die Qualität der übrigen Kandidaten gesehen hatte, aus Verzweiflung darüber die eigene Kandidatur angemeldet. Die besten Männer unter den anderen Kandidaten waren Sestius, Saufeius und Minicius — keiner von ihnen stammte aus dem Adel, und keiner war gut. Drusus kündigte seine Kandidatur an, nachdem sich die übrigen zweiundzwanzig Kandidaten vorgestellt hatten.
Die Wahlen verliefen ruhig, die Wahlbeteiligung war gering. Nur etwa zweitausend Wähler gaben ihre Stimmen ab, ein winziger Anteil der Wahlberechtigten. Da das Comitium die doppelte Anzahl von Menschen aufnehmen konnte, gab es keinen Grund, die Wahlen an einem größeren Ort, etwa im Circus Flaminius, abzuhalten. Nachdem die Kandidaten sich vorgestellt hatten, leitete der Vorsitzende des abtretenden Tribunenkollegiums die Wahl ein. Er rief die Wähler auf, sich nach den Tribus aufzuteilen. Der Konsul Marcus Perperna, ein Plebejer, überwachte die Prozedur mit strengem Blick. Staatssklaven hielten die Seile, mit denen die Tribus voneinander getrennt wurden. Da die Beteiligung so gering war, brauchten die größeren Tribus sich nicht außerhalb des Comitiums zu versammeln.
Bei Wahlen gaben die fünfunddreißig Tribus ihre Stimmen gleichzeitig ab, während sie bei Abstimmungen über Gesetze oder bei Urteilen in einem Prozeß gewöhnlich nacheinander abstimmten. Die Körbe, in denen die mit der Stimme gekennzeichneten Wachstafeln gesammelt wurden, standen auf einer eigens errichteten Plattform vor der Rednertribüne. Die Rostra selbst durfte nur von den abtretenden Volkstribunen, den Kandidaten und dem die Wahl überwachenden Konsul betreten werden.
Die provisorische Holzplattform war der Rundung der unteren Sitzreihen des Comitiums angepaßt und verdeckte sie. Fünfunddreißig enge Gänge führten steil aus dem mittleren Schacht des Comitiums zu der ungefähr zwei Meter höher gelegenen Stelle, an der die Körbe standen. Die Seile, die die Tribus voneinander trennten, erstreckten sich von der Mitte des Comitiums strahlenförmig über die der Rednertribüne gegenüberliegenden Sitzreihen. Jeder Wähler betrat den zu seiner Tribus hinaufführenden Gang, erhielt von einem der custodes eine Wachstafel ausgehändigt, beschrieb sie mit seinem Griffel, stieg dann die Planken hinauf und warf die Wachstafel in den Korb seiner Tribus. Wenn er seine Pflicht erfüllt hatte, konnte er die Ränge des Comitiums hinaufsteigen und rechts oder links von der Rednertribüne die Veranstaltung verlassen. Aber wer das Interesse und Engagement aufgebracht hatte, eine Toga anzulegen und zur Wahl zu erscheinen, verließ das Comitium meist erst, nachdem die Auszählung beendet war. Nach der Stimmabgabe standen deshalb viele auf dem unteren Forum herum und unterhielten sich, aßen eine Kleinigkeit und beobachteten aus dem Augenwinkel den Fortschritt der Wahl.
Die abtretenden Volkstribunen standen während dieser langwierigen Prozedur hinten auf der Rednertribüne. Die Kandidaten standen weiter vorne, während der Vorsitzende des Tribunenkollegiums und der Konsul ganz vorne auf einer Bank saßen, von wo aus sie die Abwicklung der Wahl genau beobachten konnten.
Einige Tribus — vor allem die vier Tribus der Stadt — bestanden an diesem Tag aus mehreren hundert, andere, die teilweise aus entfernten ländlichen Bezirken kamen, aus manchmal sogar nur ein oder zwei Dutzend Wählern. Doch unabhängig von der Größe konnte jede Tribus grundsätzlich nur eine Stimme abgeben: die der Mehrheit ihrer Mitglieder. Dies verschaffte den weiter weg wohnenden ländlichen Tribus einen unverhältnismäßig großen Einfluß.
Da die Körbe nur etwa hundert Tafeln aufnehmen konnten, wurden sie ausgetauscht, sobald sie voll waren, und leere Körbe wurden aufgestellt. Die Stimmenauszählung fand ständig unter den Augen des die Wahl überwachenden Konsuls auf einem großen Tisch auf dem zu seinen Füßen gelegenen Rang statt. Die fünfunddreißig custodes und ihre Helfer hatten je nach der Kopfzahl ihrer Tribus unterschiedlich viel zu tun.
Ungefähr zwei Stunden vor Sonnenuntergang waren die Wahlen beendet. Der Konsul verlas das Ergebnis vor den Wählern, die noch anwesend
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