MoR 02 - Eine Krone aus Gras
vermieteten, vergrößert — um die Arbeitsbelastung für unsere Beamten zu verringern und um zu verhindern, daß die römische Staatsverwaltung eine griechische Bürokratie wird. Auf diese Weise aber wurde unser ager publicus für die Bauern, die das Land zuvor bebaut hatten, immer unattraktiver. Die Größe der Parzellen schreckte sie ab, und die hohen Pachtzahlungen vertrieben sie von dem Land. Der ager publicus wurde die Provinz der Reichen — jener Bürger, die die Pacht zahlen und das Land so nützen können, wie es die Größe der einzelnen Teile erfordert. Einst trug dieses Land beträchtlich zur Ernährung Italiens bei, jetzt werden dort nur Kleider produziert. Einst war das Land besiedelt, wurde es landwirtschaftlich genutzt, jetzt besteht es nur noch aus großen, öden und oft verwahrlosten Gebieten.«
Die Gesichter, in die er blickte, verhärteten sich, und es schien Drusus, als schlage sein Herz langsamer und mühsamer. Er spürte, wie sein Atem kürzer wurde, und mußte sich anstrengen, ruhig zu bleiben und seinen ernsten Ton beizubehalten. Bisher hatte ihn niemand unterbrochen. Die Senatoren hatten noch nicht genug gehört. Er mußte weiterkämpfen, als habe er keine Veränderung bemerkt.
»Aber das, Senatoren, war nur der Anfang des Übels. Das war es, was Tiberius Gracchus sah, als er durch die Latifundien Etrurias ritt und entdecken mußte, daß ausländische Sklaven und nicht die tüchtigen Männer Italiens und Roms die Felder bestellten. Das war es, was Gaius Gracchus sah, als er zehn Jahre später die Arbeit seines verstorbenen Bruders weiterführte. Ich halte die Gründe der Gracchen-Brüder nicht für ausreichend, um den mos maiorum, die Bräuche und Traditionen unserer Vorfahren zu mißachten. Damals hätte ich mich auf die Seite meines Vaters gestellt.«
Drusus hielt inne und wandte noch einmal den Trick mit den Augen an. In seinem Blick lag absolute Aufrichtigkeit. »Ich meine, was ich sage, Senatoren! Zu Zeiten des Tiberius Gracchus, zu Zeiten des Gaius Gracchus hätte ich mich auf die Seite meines Vaters gestellt. Er hatte damals recht. Aber die Zeiten haben sich geändert. Andere Faktoren haben an Gewicht gewonnen, und sie verstärken die negativen Seiten des ager publicus. An erster Stelle nenne ich die Probleme in unserer Provinz Asia, die Gaius Gracchus auslöste, als er ein Gesetz durchbrachte, wonach die Pachtzinsen und Steuern von privaten Gesellschaften eingezogen werden durften. Die Steuereinzugsbezirke Italiens waren schon lange vorher an private Unternehmen verpachtet worden, aber sie hatten nie dieselbe Bedeutung. Der Senat hat seine Verantwortung abgegeben, und bestimmte Kreise des Ritterstandes haben in der römischen Regierung eine immer wichtigere Rolle gespielt. In der Folge wurde die vorbildliche Verwaltung unserer Provinz Asia zunehmend angegriffen und ausgehöhlt. Der Vorgang gipfelte im Prozeß gegen unseren geschätzten ehemaligen Konsul Publius Rutilius Rufus. Mit diesem Prozeß haben uns bestimmte Kreise des Ritterstandes zu verstehen gegeben, daß wir — die Mitglieder des Senats von Rom! — besser nicht mehr auf ihren Weiden grasen sollten. Nun, ich habe erste Schritte gegen diese Art der Einschüchterung unternommen. Der Ritterstand soll sich die Kontrolle der Gerichte mit dem Senat teilen, und um die Ritter mit dieser Einbuße an Macht zu versöhnen, habe ich die Zahl der Senatoren erhöht. Aber das Übel ist noch immer da.«
Manche der Gesichter zeigten eine leichte Bewegung. Daß Drusus seinen geschätzten Onkel Publius Rutilius Rufus erwähnt hatte, wirkte sich zu seinen Gunsten aus, und dasselbe galt für seine Anspielung auf die vorbildliche Verwaltung der Provinz unter Quintus Mucius Scaevola.
»Das Übel, Senatoren, hat sich mit einem anderen, neuen Übel vereinigt. Wie viele von euch wissen, welches neue Übel ich meine? Sehr wenige, glaube ich. Ich spiele auf ein Übel an, das von Gaius Marius verursacht wurde — aber ich spreche diesen hervorragenden Mann, der sechsmal Konsul war, davon frei, gewußt zu haben, was er bewirkte. Denn das ist ja gerade die Schwierigkeit: Zunächst erscheint das Übel gar nicht als Übel! Es ist vielmehr das Ergebnis eines Wandels, neuer Bedürfnisse und einer Kräfteverschiebung in unserem Staatssystem und unserem Heer. Wir hatten auf einmal keine Soldaten mehr. Warum nicht? Unter den zahlreichen Gründen dafür ist einer, der mit dem ager publicus zusammenhängt. Indem man den ager publicus schuf, vertrieb man
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