MoR 02 - Eine Krone aus Gras
rang.
Marius, Sulla, Cratippus und zwei weitere Diener hoben den schreienden Drusus hoch. Als sie ihn zu seinem großen Bett trugen, zog seine blutgetränkte Toga eine leuchtend rote Spur. Auf diesem Bett hatten Drusus und Servilia Caepionis viele Jahre vergeblich versucht, Kinder zu zeugen. Das Zimmer war klein; man hatte so viele Lampen hineingeschafft, daß es den Trägern taghell erschien, als sie Drusus auf das Bett legten.
Weitere Ärzte eilten herbei. Marius und Sulla zogen sich zurück und gingen zu den anderen Freunden ins Atrium. Auch dort waren Drusus’ Schreie zu hören. Als Mamercus hereinstürzte, wies Marius nur auf die Tür des Schlafzimmers, machte aber keine Anstalten zu folgen.
»Wir können noch nicht gehen«, sagte Scaurus, der um Jahre gealtert schien.
»Nein, wir müssen noch hierbleiben«, sagte Marius. Auch er fühlte sich um Jahre gealtert.
»Kommt, wir gehen in das Arbeitszimmer, hier stehen wir nur im Weg«, schlug Sulla vor. Er zitterte noch immer leicht. Der Schock wirkte noch immer nach. Außerdem hatte es ihn angestrengt, den widerstrebenden Arzt von der Liege wegzuzerren, auf der er gegessen hatte.
»Beim Jupiter! Ich kann es nicht glauben!« rief Antonius Orator aus.
»Caepio?« fragte Scaevola zitternd.
»Ich habe Varius, den spanischen Hund, im Verdacht«, sagte Sulla mit zusammengebissenen Zähnen.
Auch im Arbeitszimmer hatten sie das Gefühl, nutzlos und ohnmächtig zu sein — dabei waren sie es gewohnt, Anweisungen zu geben. Sie hörten immer noch die gellenden Schreie aus dem Schlafzimmer. Aber bald entdeckten sie, daß Cornelia Scipionis eine würdige Vertreterin ihrer bedeutenden Familie war, denn selbst in dieser schweren Stunde fand sie die Zeit, ihnen Wein und Essen bringen zu lassen und ihnen einen Sklaven als Diener zuzuweisen.
Den Ärzten gelang es schließlich, das Messer zu entfernen. Es war für den Mord wie geschaffen: ein kleines, bösartiges Schuhmachermesser mit breiter, geschwungener Klinge.
»Das Messer wurde in der Wunde vollständig herumgedreht«, sagte Apollodorus Siculus zu Mamercus. Er mußte sehr laut sprechen, um Drusus’ Schreie zu übertönen.
»Was heißt das?« fragte Mamercus. Er schwitzte unsäglich und war unfähig, die Bedeutung der Worte des Arztes zu verstehen.
»Es gibt nichts zu heilen, Mamercus Aemilius. Die Blutadern, die Nerven, die Blase, ich glaube sogar die Eingeweide, alles ist betroffen.«
»Kannst du ihm nicht ein Schmerzmittel geben?«
»Ich habe ihm bereits Mohnsirup gegeben, und ich werde ihm noch mehr davon geben müssen. Leider glaube ich nicht, daß ihm das hilft.«
»Aber was könnte ihm denn helfen?«
»Nichts.«
»Willst du damit sagen, mein Sohn wird sterben?« fragte Cornelia Scipionis ungläubig.
»Ja, domina«, antwortete der Arzt würdevoll. »Marcus Livius hat sowohl innere als auch äußere Blutungen. Wir wissen nicht, wie wir diese Blutungen stillen können. Er muß sterben.«
»Unter solchen Schmerzen? Kannst du nichts dagegen tun?« fragte die Mutter.
»Es gibt kein wirkungsvolleres Schmerzmittel in unseren Apotheken als den Sirup des anatolischen Mohns, domina. Wenn ihm das nicht hilft, hilft ihm nichts mehr.«
Drusus schrie die ganze Nacht hindurch. Seine Schreie drangen in jeden Winkel des prächtigen Hauses. Sie gellten in den Ohren der Kinder, die engumschlungen in ihrem Zimmer kauerten, um sich zu trösten. Der Kopf des kleinen Cato lag noch immer an der Brust seines Bruders. Alle Kinder weinten und jammerten. Sie hatten schon so viele Tragödien miterlebt, aber den Anblick ihres auf dem Boden liegenden Onkels sollten sie ihr Leben lang nicht vergessen.
Der junge Caepio hielt seinen kleinen Bruder Cato fest in den Armen und küßte ihn auf die Haare. »Sieh doch, ich bin bei dir. Niemand kann dir weh tun!«
Auf dem Clivus Victoriae hatte sich eine ständig wachsende Menschenmenge eingefunden, die sich inzwischen dreihundert Schritte in beide Richtungen erstreckte. Selbst hier draußen waren Drusus’ Schreie zu hören, denen immer wieder Stöhnen und Schluchzen folgte, wenn der Schmerz etwas nachließ.
Im Atrium des Hauses hatte sich inzwischen der Senat eingefunden. Caepio und Philippus waren nicht anwesend, eine kluge Entscheidung. Sulla sah durch die Tür des Arbeitszimmers und bemerkte, daß auch Quintus Varius nicht gekommen war. Etwas bewegte sich in der Dunkelheit am Ausgang zur Loggia. Sulla glitt leise hinüber. Ein Mädchen, vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt,
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