MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Bürger und kein römischer Familienangehöriger mehr am Leben. Die Einwohner schlossen die gewaltigen Stadttore und berieten, wie sie Vorräte für kommende Belagerungen anlegen konnten. Keiner bereute, daß er sich dem Blutrausch hingegeben hatte. Mit dieser Tat schien vielmehr ein gewaltiger, eiternder Abszeß des Hasses aufgebrochen, und jetzt schwelgte man in Haß und gelobte, sich nie mehr dem römischen Joch zu beugen.
Vier Tage später traf die Nachricht vom Massaker in Asculum Picentum in Rom ein. Die beiden römischen Schauspieler, die von der Bühne geflohen waren, hatten das grauenhafte Gemetzel von einem Versteck aus mit angesehen und waren noch vor Schließung der Tore aus der Stadt entkommen. Sie brauchten vier Tage, um nach Rom zu gelangen. Teils gingen sie zu Fuß, teils erbettelten sie sich einen Platz auf einem Maultierkarren oder hinten auf einem Pferd. Der Schrecken saß ihnen noch so in den Gliedern, daß sie kein Wort über die Greueltat in Asculum Picentum verloren, bevor sie nicht endgültig in Sicherheit waren. Als Schauspieler konnten sie das Blutbad so anschaulich schildern, daß ganz Rom in ungläubigem Entsetzen erstarrte. Im Senat trug man wegen des getöteten Prätors Trauer, und die vestalischen Jungfrauen brachten Opfer für Fonteius dar, den Vater ihres jüngsten Zugangs.
So groß das Unglück war, es war doch wenigstens ein Glück, daß die Wahlen in Rom schon stattgefunden hatten. So blieb dem Senat die unangenehme Aufgabe erspart, mit Philippus ohne Unterstützung fertig werden zu müssen. Die neuen Konsuln waren Lucius Julius Caesar und Publius Rutilius Lupus. Caesar war ein fähiger Mann, aber mittellos und finanziell an den selbstgefälligen und unfähigen, aber reichen Lupus gebunden. Auch in diesem Jahr gab es acht Prätoren, die übliche Mischung aus fähigen und unfähigen Patriziern und Plebejern. Caesar Strabo, der schielende jüngere Bruder des neuen Konsuls Lucius Julius Caesar, wurde kurulischer Ädil. Unter den Quästoren war niemand anders als Quintus Sertorius, der in Hispanien die Krone aus Gras gewonnen hatte und dem damit die Ämterlaufbahn offenstand. Gaius Marius, der Vetter seiner Mutter, hatte bereits dafür gesorgt, daß Sertorius über das für einen Senator vorgeschriebene Vermögen verfügte. Sobald zwei neue Zensoren gewählt waren, würde er in den Senat aufgenommen werden. Obwohl er nur wenige Gerichtshöfe von innen gesehen hatte, hatte er für einen so jungen Mann einen schon recht bekannten Namen, und er übte auf die breite Masse die gleiche magische Anziehungskraft aus wie Gaius Marius.
Im Kollegium der Volkstribunen waren diesmal ungewöhnlich eindrucksvolle Namen versammelt; einer war besonders auffällig: Quintus Varius Severus Hybrida Sucronensis. Sobald das neue Kollegium im Amt sei, schwor Varius, würden alle, die die Verleihung des Bürgerrechts an die Italiker befürworteten, bezahlen müssen, vom höchsten bis zum niedersten. Die Nachricht vom Massaker in Asculum Picentum versorgte Varius mit zusätzlicher Munition. Noch vor seinem Amtsantritt warb er unter den Rittern und Besuchern des Forums eifrigst um Unterstützung für seine Rachepläne, die er in der Versammlung der Plebs vortragen wollte. Für den Senat, der über die heftigen Vorwürfe Philippus’ und Caepios aufgebracht war, konnte das alte Jahr nicht rasch genug verstreichen.
Unmittelbar nachdem die Nachricht aus Asculum Picentum eingetroffen war, erschien eine Abordnung von zwanzig italischen Adligen aus der neuen Hauptstadt Italica, von deren Existenz und der Gründung des neuen Staates Italia sie freilich nichts verrieten. Die Abgeordneten verlangten lediglich, im Senat zum Thema Bürgerrechte gehört zu werden: Sie forderten Bürgerrechte für jeden Mann südlich nicht nur des Arno und des Rubicon, sondern des Po in Gallia Cisalpina! Hinter dieser neuen Forderung steckte schlaue Berechnung. Die Führer des neuen Staates Italia wollten alle in Rom, vom Senat bis zu den Besitzlosen, gegen sich aufbringen, denn sie wollten nicht mehr die Bürgerrechte. Sie wollten den Krieg.
In einer geheimen Besprechung mit der Delegation im Senaculum, einem kleinen Nebengebäude des Concordia-Tem- pels, versuchte der Senatsälteste Marcus Aemilius Scaurus, diese dreiste Forderung zurückzuweisen. Ursprünglich ein loyaler Anhänger des Drusus, sah er nach dessen Tod keinen Anlaß mehr, noch immer das Bürgerrecht für alle zu verlangen. Er liebte das Leben.
»Sagt euren Herren,
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