MoR 02 - Eine Krone aus Gras
veränderte sich, wenn sie auch nicht genau hätte sagen können, wie — er schien mehr er selbst zu werden. Seine Hand kam über den Tisch, und ein bezauberndes Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Aurelia —«
Sie legte ihre Hand in die seine, hielt den Atem an und fühlte sich schwindlig. »Ja, Lucius Cornelius?« brachte sie mit Mühe heraus.
»Sei meine Geliebte!«
Ihr Mund war trocken; sie hatte das Gefühl, wenn sie nicht schluckte, würde sie ohnmächtig werden, und doch konnte sie nicht schlucken. Seine Finger, die die ihren umfingen, waren die letzten Fäden, an denen ihr schwindendes Leben noch hing — sie durfte sie nicht loslassen.
Aurelia könnte sich später nicht mehr daran erinnern, wie er um den Tisch herumgekommen war, aber plötzlich sah sie sein Gesicht ganz dicht vor dem ihren, den Glanz seiner Lippen, die Tiefe seiner Augen — schillernd wie polierter Marmor. Fasziniert sah sie, wie sich ein Muskel seines rechten Armes unter der Haut bewegte. Ihr Zittern war mehr ein Vibrieren, sie war so schwach und verloren... Sie schloß die Augen und wartete, und dann, als sie seinen Mund auf ihrem spürte, küßte sie ihn, als hätte sie eine ganze Ewigkeit nach Liebe gehungert. Gefühle überfluteten sie, sie hatte mehr, als sie je für möglich gehalten hätte — sie war erschrocken und zugleich wie betäubt, ausgebrannt, aber wie von Flügeln getragen...
Einen Augenblick später jedoch lag der ganze Raum zwischen ihnen. Aurelia preßte sich fest an eine hell getünchte Wand, als versuche sie, mit ihr zu verschmelzen, Sulla stand schwer atmend am Tisch, und die Sonne schoß Feuerpfeile durch sein Haar.
»Ich — kann nicht!« sagte sie. Es klang wie ein Schrei.
»Dann möge dein innerer Frieden für immer dahin sein!«
Sulla raste vor Zorn, aber er war selbst jetzt wild entschlossen, nichts zu tun, was sie lächerlich oder peinlich finden könnte. Mit großspuriger Gebärde legte er seine Toga an, die auf den Boden gefallen war, dann stolzierte er hinaus wie ein Sieger, und jeder Schritt sagte ihr, daß er nie wiederkommen würde.
Aber es befriedigte Sulla nicht, den Sieger zu spielen, zu sehr erzürnte ihn seine Niederlage. Er marschierte wutentbrannt nach Hause, und die Menschen auf der Straße wichen fluchtartig zur Seite. Wie konnte sie es wagen! Wie konnte sie es wagen, mit hungrigen Augen dazusitzen, ihn sogar mit einem Kuß zu foppen — und mit was für einem Kuß! — und ihm dann zu sagen, sie könne nicht. Dabei hatte sie es mehr gewollt als er! Er sollte sie töten, ihr den schlanken Hals brechen, ihr Gesicht durch ein Gift aufquellen lassen. Er wollte sehen, wie diese großen Augen noch weiter aus ihren Höhlen traten, wenn er die Hände um ihre Kehle legte. Töten wollte er sie, töten, töten, töten, rief ihm sein Herz zu, das er in seinen Ohren pochen hörte, töten, rief das Blut, das seine Adern an Schläfe und Stirn hervortreten ließ. Töten, töten, töten. Und sein Zorn wurde noch verstärkt durch das Wissen, daß er sie genausowenig töten konnte, wie er Julilla, Aelia oder Delmatica hatte töten können. Und warum nicht? Was hatten diese Frauen, das Clitumna und Nikopolis nicht hatten?
Als er in sein Atrium stürmte, stoben die Sklaven auseinander, seine Frau zog sich still in ihr Zimmer zurück, und selbst das Haus schien sich zu ducken. Kein Laut war zu hören. In seinem Arbeitszimmer ging er gleich zu dem kleinen hölzernen Schrein, in dem die Wachsmaske seines Vorfahren, des Jupiterpriesters, aufbewahrt war, und riß die geheime Schublade in den Holzstufen auf. Seine suchenden Finger schlossen sich zuerst um ein kleines Fläschchen. Da lag es in seiner Hand, sein klarer Inhalt schwappte träge hinter dem grünlichen Glas. Er konnte seine Augen nicht davon wenden.
Sulla wußte nicht, wie lange er auf das Fläschchen in seiner Hand starrte, denn er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sein Zorn füllte ihn vollständig aus. Oder war es Schmerz? Oder Kummer? Oder nur eine überwältigende Einsamkeit? Gerade war ihm noch heiß gewesen, dann nur noch warm, jetzt schon kalt, und schließlich fühlte er sich zu Eis erstarren. Erst jetzt wurde ihm seine Unfähigkeit bewußt, die Tatsache, daß er, der in den Mord verliebt war, weil er ihm Trost brachte und weil er notwendig war, es physisch nicht fertigbrachte, eine Frau aus seiner eigenen Schicht zu ermorden. Bei Julilla und Aelia hatte er wenigstens noch Trost darin gefunden, ihr von ihm verursachtes Elend
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