MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Dazu brauchte er alle Schiffe, die in dem geschäftigen Hafen aufzutreiben waren; Sulla mußte also wohl oder übel warten, bis die Schiffe zurückgekehrt waren. Anfang Mai — von den zweihundert Talenten Gold war nicht mehr viel übrig — überquerte er endlich mit drei Legionen und tausend Maultieren die Adria.
Sulla, der ein guter Seemann war, lehnte an der Reling am Heck seines Schiffes und blickte das Kielwasser entlang auf den fahlen Streifen am Horizont, der Italien war. Und dann war Italien verschwunden. Er war frei. Mit dreiundfünfzig Jahren war er endlich auf dem Weg zu einem Krieg, den er ehrenvoll gewinnen konnte, einem Krieg gegen einen wirklichen Feind im Ausland. Ruhm, Beute, Kämpfe und Blut erwarteten ihn.
Da hast du es, Gaius Marius! dachte er triumphierend. Diesen Krieg kannst du mir nicht mehr nehmen. Dieser Krieg ist mein Krieg!
X. Kapitel
Der junge Marius und Lucius Decumius holten Gaius Marius aus dem Tellus-Tempel und versteckten ihn in der Cella des Jupiter- Stator-Tempels auf der Velia. Dann suchten die beiden nach Publius Sulpicius, Marcus Laetorius und den anderen Adligen, die ihre Schwerter umgeschnallt hatten, um Rom gegen das Heer des Lucius Cornelius Sulla zu verteidigen. Bald darauf brachten sie Sulpicius und neun andere in das Versteck im Jupiter-Tempel.
»Mehr konnten wir nicht finden, Vater«, sagte der junge Marius und setzte sich auf den Fußboden. »Ich habe gehört, Marcus Laetorius, Publius Cethegus und Publius Albinovanus seien vor kurzem dabei beobachtet worden, wie sie durch die Porta Capena die Stadt verließen. Und die Brüder Granius sind unauffindbar. Hoffentlich bedeutet das, daß sie die Stadt noch früher verlassen haben.«
»Welche Ironie«, sagte Marius bitter und mehr zu sich selbst, »daß wir uns hier verstecken müssen! Im Tempel des Gottes, der fliehende Soldaten aufhält. Meine Soldaten würden nicht wieder kämpfen, egal was ich ihnen verspräche.«
»Sie waren keine römischen Soldaten«, sagte sein Sohn.
»Ich weiß!«
»Ich hätte nie gedacht, daß Sulla Ernst machen würde«, sagte Sulpicius. Er keuchte, als sei er stundenlang gelaufen.
»Ich schon — nachdem ich ihn auf der Via Latina in Tusculum getroffen habe«, sagte Marcus Junius Brutus, der Stadtprätor.
»Und jetzt hat Sulla Rom in der Hand«, sagte der junge Marius. »Vater, was sollen wir tun?«
Statt Marius antwortete Sulpicius. Er verabscheute die Art und Weise, wie alle sich Gaius Marius andienten. Gaius Marius mochte sechsmal Konsul gewesen sein und einem Volkstribunen geholfen haben, der den Senat ausschalten wollte, aber im Augenblick war er nichts weiter als ein privatus. »Wir gehen in unsere Häuser und tun, als sei nichts geschehen«, sagte er entschlossen.
Marius drehte den Kopf und sah ihn ungläubig an. Er war so erschöpft wie noch nie zuvor in seinem Leben, und sein linker Arm, seine linke Hand und seine linke Gesichtshälfte fühlten sich merkwürdig taub an und prickelten unangenehm. »Du kannst das tun, wenn du willst«, sagte er schleppend. Auch seine Zunge fühlte sich seltsam an. »Ich kenne Sulla. Und ich weiß, was ich tun werde. Ich werde um mein Leben laufen.«
»Ich glaube, du hast recht«, sagte Brutus. Die blaue Färbung seiner Lippen trat noch dunkler hervor als sonst, und sein Atem ging keuchend. »Wenn wir bleiben, bringt er uns um. Ich habe in Tusculum sein Gesicht gesehen.«
»Er bringt uns nicht um!« sagte Sulpicius fest. Er war viel jünger als Brutus und hatte sich schneller wieder gefaßt. »Sulla weiß selbst genau, daß er unrechtmäßig handelt. Er wird sich die größte Mühe geben, daß er von jetzt an nur noch im Rahmen der Gesetze handelt.«
»Unsinn!« sagte Marius verächtlich. »Glaubst du, er schickt seine Leute morgen nach Campania zurück? Natürlich nicht! Er wird Rom besetzt halten und tun, was ihm beliebt.«
»Das wird er nicht wagen.« Sulpicius wurde bewußt, daß er ähnlich wie viele andere Senatoren Sulla nicht besonders gut kannte.
Marius mußte lachen. »Nicht wagen? Lucius Cornelius Sulla und nicht wagen? Werde erwachsen, Publius Sulpicius! Sulla würde alles wagen. Das hat er auch früher schon getan. Und das Schlimmste ist, er denkt zuerst und wagt dann. Oh, er wird uns nicht vor einem manipulierten Gericht des Hochverrats anklagen! So ein Narr ist er nicht. Er wird uns heimlich umbringen lassen und dann behaupten, wir seien in der Schlacht gefallen.«
»Das glaube ich auch, Gaius Marius«, sagte Lucius
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