MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Decumius. »Dieser Kerl würde sogar seine Mutter umbringen.« Er erschauerte und hielt seine zur Faust geballte rechte Hand hoch, aus der der Zeigefinger und der kleine Finger wie zwei Hörner nach oben standen — das Zeichen zur Abwehr des bösen Blicks. »Er ist nicht wie andere Menschen.«
Die neun übrigen Männer saßen auf dem Boden des Tempels und hörten der Debatte ihrer Anführer zu. Keiner von ihnen spielte im Senat oder im Ritterstand eine Rolle, obwohl sie alle einem der beiden Stände angehörten. Eine römische Armee daran zu hindern, in Rom einzumarschieren, war ihnen als Sache erschienen, für die zu kämpfen sich lohnte. Aber nun, wo ihnen das kläglich mißlungen war, konnten sie nicht mehr verstehen, daß sie es überhaupt versucht hatten. Morgen würden sie wieder Mut fassen; schließlich glaubten alle daran, daß es sich für Rom zu sterben lohne. Aber jetzt saßen sie erschöpft und desillusioniert im Tempel des Jupiter Stator und hofften, daß Marius sich gegen Sulpicius durchsetzen würde.
»Wenn du gehst, Gaius Marius, kann ich auch nicht bleiben«, sagte Sulpicius.
»Dann komme lieber mit, glaube mir. Ich gehe auf jeden Fall«, sagte Marius.
»Und du, Lucius Decumius?« fragte der junge Marius.
Lucius Decumius schüttelte den Kopf. »Nein, ich kann nicht weg. Aber ich habe Glück — ich bin nicht wichtig. Ich muß auf Aurelia und den kleinen Caesar aufpassen — sein Vater ist zur Zeit bei Lucius Cinna in Alba Fucentia. Ich werde in deinem Auftrag auch auf Julia aufpassen, Gaius Marius.«
»Was immer Sulla von meinem Eigentum in die Hände kriegt, wird er konfiszieren«, sagte Marius. Dann grinste er zufrieden. »Was für ein Glück, daß ich überall Geld vergraben habe.«
Marcus Junius Brutus wuchtete sich hoch. »Ich muß nach Hause und retten, was ich retten kann.« Er sah nicht Sulpicius, sondern Marius an. »Wohin gehen wir? Soll jeder seiner Wege gehen, oder gehen wir zusammen?«
»Wir werden Italien verlassen müssen«, sagte Marius und hielt seinem Sohn die rechte und Lucius Decumius die linke Hand hin. Mit ihrer Hilfe kam er wieder auf die Beine. »Ich glaube, wir sollten Rom getrennt verlassen und getrennt bleiben, bis wir die Stadt ein Stück weit hinter uns gelassen haben. Dann tun wir uns besser wieder zusammen. Ich schlage vor, wir treffen uns in einem Monat auf der Insel Ischia. An den Iden des Dezember. Ich kann Gnaeus und Quintus Granius sicher leicht ausfindig machen und dafür sorgen, daß sie auch zu unserem Treffpunkt kommen, und sie wissen hoffentlich, wo Cethegus, Albinovanus und Laetorius sind. Wenn wir auf Ischia sind, kümmere ich mich um alles. Ich sorge auch für ein Schiff, denn ich denke, wir fahren dann nach Sizilien. Der dortige Statthalter ist Norbanus, mein Klient.«
»Aber warum Ischia?« fragte Sulpicius, der mit der Entscheidung, Rom zu verlassen, immer noch unzufrieden war.
»Weil es eine Insel ist, die weit ab vom Geschehen und doch in der Nähe von Puteoli liegt. In Puteoli habe ich viele Verwandte und eine Menge Geld.« Marius schüttelte seine linke Hand, als ärgere sie ihn. »Mein Vetter zweiten Grades Marcus Granius — er ist der Vetter von Gnaeus und Quintus, und ihn werden sie wohl aufsuchen — ist Geldverleiher. Er verfügt über einen großen Teil meiner Barschaft. Während wir auf getrennten Wegen nach Ischia reisen, wird Lucius Decumius einen Brief von mir zu Marcus Granius nach Puteoli bringen. Granius wird mir so viel Geld von Puteoli nach Ischia schicken, daß wir alle zwanzig genug zum Leben haben, solange wir fort sind.« Er steckte die Hand, die ihn ärgerte, in seine Feldherrnschärpe. »Lucius Decumius wird auch nach den anderen suchen. Wir werden zwanzig sein, darauf könnt ihr euch verlassen. Es kostet Geld, im Exil zu leben, aber macht euch keine Sorgen. Ich habe Geld, und Sulla bleibt nicht ewig in Rom. Er wird die Stadt verlassen, um gegen Mithridates zu kämpfen. Verflucht soll er sein! Und wenn er mitten in diesem Krieg steckt und nicht nach Rom zurückkehren kann, dann kehren wir zurück. Mein Klient Lucius Cinna wird im neuen Jahr Konsul sein, und er wird dafür sorgen, daß wir zurückkommen können.«
Sulpicius machte ein verblüfftes Gesicht. »Dein Klient?«
»Ich habe überall Klienten, Publius Sulpicius, sogar in den berühmten Patrizierfamilien«, sagte Gaius Marius selbstzufrieden. Er fühlte sich besser; jedenfalls hatte die Taubheit nachgelassen. Er ging zum Eingang des Tempels, wandte sich zu
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