MoR 02 - Eine Krone aus Gras
sollten diese Organe so weit von der Quelle der Gedanken entfernt sein wie vom Herz oder von der Leber?« Er verstummte, zog die gewaltigen Augenbrauen finster zusammen und zupfte nervös mit den Fingern an ihnen herum. »Noch einmal von vorn. .. Irgend etwas frißt langsam und nach und nach meinen Verstand auf, mein Sohn. Ich kann immer noch ganze Bücher auswendig, und wenn ich mich dazu zwinge, kann ich klar denken — ich kann Versammlungen leiten und alles andere, was ich früher konnte. Aber nicht immer. Und ich verstehe oft nicht, was sich verändert. Manchmal merke ich nicht einmal, daß sich etwas verändert hat... Du mußt mir meine Schrullen verzeihen. Ich muß meine geistige Kraft aufsparen, denn eines Tages werde ich zum siebten Mal Konsul sein. Martha hat gesagt, es würde so sein, und sie hat sich noch nie geirrt. Noch nie geirrt... Aber das habe ich dir schon erzählt, oder?«
Der junge Marius schluckte den Klumpen in seinem Hals hinunter. »Ja, Vater. Schon oft.«
»Habe ich dir auch schon erzählt, daß sie noch etwas anderes prophezeite?«
Der junge Marius musterte das mitgenommene und verzerrte Gesicht seines Vaters, das dieser Tage oft gerötet war. Dann seufzte er leise und überlegte, ob der Geist seines Vaters sich gerade wieder verwirrte oder ob er bei klarem Verstand war. »Nein, Vater.«
»Nun, sie sagte, ich würde nicht der größte Mann sein, den Rom in seiner Geschichte hervorbringt. Und weißt du, wer ihr zufolge der größte Römer aller Zeiten sein wird?«
»Nein, Vater. Aber ich würde es gerne wissen.« Der junge Marius sagte das ohne die geringste Hoffnung, denn er wußte, er würde es nicht sein. Der Sohn eines großen Mannes ist sich seiner Mängel besonders deutlich bewußt.
»Der junge Caesar.«
»Beim Pollux!«
Gaius Marius kicherte nervös und wirkte plötzlich unheimlich und gespenstisch. »Mach dir keine Sorgen, mein Sohn! Er wird es nicht werden! Ich lasse niemanden größer werden als mich! Ich werde den Stern des jungen Caesar auf den Grund des tiefsten Meeres schicken!«
Sein Sohn erhob sich. »Du bist müde, Vater. Mir ist aufgefallen, daß die Stimmungen und Schwierigkeiten, unter denen du leiden mußt, viel stärker sind, wenn du müde bist. Komm und geh zu Bett.«
Der Statthalter von Sizilien, Gaius Marius’ Klient Gaius Norbanus, hielt sich gerade in Messana auf, um gegen Marcus Lamponius’ und eine Streitmacht aufständischer Lucanier und Bruttier zu kämpfen, die Sizilien erobern wollten. Marius’ Bote war auf dem schnellsten Weg über die Via Valeria nach Messana geeilt und kam nach dreizehn Tagen mit der Antwort des Statthalters zurück.
Zwar bin ich mir meiner Verpflichtungen als Dein Klient äußerst bewußt, Gaius Marius, aber ich bin auch Statthalter und Proprätor einer römischen Provinz, und verpflichtet, zuerst Rom zu dienen und dann Dir als meinem Patron. Dein Brief erreichte mich, nachdem ich eine offizielle Anweisung des .Senats erhalten hatte, Dir und den anderen Flüchtlingen keinerlei Beistand zu gewähren. Mir wurde sogar befohlen, Dich aufzuspüren und wenn möglich zu töten. Das kann ich natürlich nicht tun. Allerdings kann ich Deinem Schiff befehlen, sizilianische Gewässer zu verlassen.
Privat wünsche ich Dir das Beste und hoffe, daß Du irgendwo eine sichere Zuflucht findest. Ich befürchte freilich, daß Dir das auf römischem Gebiet nirgendwo gelingen wird. Ich muß Dir sagen, daß Publius Sulpicius in Laurentum festgenommen wurde. Sein Kopf ziert die Rostra in Rom. Eine böse Tat! Aber Du wirst meine Lage besser verstehen, wenn ich Dir sage, daß niemand anders als Lucius Cornelius Sulla den Kopf des Sulpicius aufder Rostra aufgepflanzt hat. Er hat nicht den Befehl dazu gegeben, nein, er tat es eigenhändig.
»Armer Sulpicius!« sagte Marius und unterdrückte die in ihm aufsteigenden Tränen. Dann riß er sich zusammen und sagte: »Fahren wir also weiter! Wir werden sehen, wie wir in der Provinz Africa empfangen werden.«
Aber auch dort wurden sie nicht aufgenommen. Der Statthalter der Provinz Publius Sextilius hatte ebenfalls entsprechende Befehle erhalten und konnte den Flüchtlingen lediglich raten, woandershin zu fahren, bevor die Pflicht ihn dazu zwang, sie aufzuspüren und zu töten.
Weiter ging es nach Rusicade, dem Hafen von Cirta, der Hauptstadt Numidiens. In Numidien regierte nun König Hiempsal, der Sohn des Gauda, aber ein weit besserer Mensch als sein Vater. Als er Marius’ Brief erhielt, weilte er in
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