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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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seiner Residenz in Cirta, unweit von Rusicade. Der Brief stürzte ihn in das bisher größte Dilemma seiner Regierungszeit. Gaius Marius hatte seinen Vater auf den Thron gesetzt, aber wenn er ihm half, lief er selbst Gefahr, den Thron zu verlieren. Denn auch Lucius Cornelius Sulla erhob Anspruch auf Vorherrschaft über Numidien.
    Nach einigen Tagen des Hin- und Herüberlegens zog Hiempsal mit einem Teil seines Hofes nach Ikosion um, das weit westlich des römischen Machtbereichs lag, und bat Gaius Marius und seine Gefährten, mit ihrem Schiff dorthin zu kommen. Die Flüchtlinge durften an Land kommen und mehrere komfortable Häuser beziehen. Hiempsal lud sie häufig in sein eigenes Haus ein, das mehr ein kleiner Palast war, auch wenn es längst nicht so geräumig war wie die Residenz in Cirta. Weil der König sich in Ikosion räumlich einschränken mußte, hatte er einige seiner Frauen und alle Konkubinen in Cirta gelassen und nur seine Königin Sophonisba und die zwei Nebenfrauen Salammbo und Anno mitgebracht. Hiempsal war ein in den besten Traditionen der hellenistischen Monarchie erzogener Mann. Das Leben am Hof war nicht orientalisch geprägt, und seine Gäste konnten frei mit den Mitgliedern seiner Familie verkehren — seinen Söhnen, Töchtern und Frauen. Leider führte das zu Komplikationen.
    Der junge Marius war nun einundzwanzig Jahre alt und dabei, sich in der Welt umzusehen. Er war blond, gutaussehend und gutgebaut. Seine innere Unruhe erlaubte ihm nicht, sich längere Zeit auf eine geistige Aufgabe zu konzentrieren, deshalb suchte er Zerstreuung und Entspannung auf der Jagd — einem Zeitvertreib, an dem König Hiempsal keinen Gefallen fand, wohl aber seine junge Frau Salammbo. In den afrikanischen Ebenen wimmelte es von Wild — Elefanten, Löwen, Straußen, Gazellen, Antilopen, Bären, Panthern und Gnus —, und der junge Marius lernte Tiere jagen, die er zuvor noch gar nicht gekannt hatte. Prinzessin Salammbo war seine Führerin und Lehrerin.
    König Hiempsal dachte vielleicht, der öffentliche Charakter dieser Ausflüge und die große Anzahl der Begleiter seien ein ausreichender Schutz für die Tugend seiner Nebenfrau, und deshalb hatte er keine Bedenken, Salammbo mit dem jungen Marius loszuschicken. Vielleicht war er auch dankbar, die lebhafte Frau für einige Tage los zu sein. Er selbst zog sich mit Gaius Marius zurück, dem es seit seiner Ankunft in Ikosion geistig deutlich besser ging, und sprach mit ihm über die alten Zeiten. Er ließ sich die Geschichten der Feldzüge gegen Jugurtha in Numidien und Africa erzählen, machte sich für sein Familienarchiv ausführliche Notizen und hing kühnen Träumen von zukünftigen Zeiten nach, wenn einer seiner Söhne oder Enkel für wert befunden werden würde, eine römische Adlige zu heiraten. Hiempsal hatte keine Illusionen. Er mochte sich König nennen, soviel er wollte, und ein großes und reiches Land regieren, aber in den Augen der römischen Aristokratie waren er und seine Untertanen weniger wert als der Staub auf den Straßen Roms.
    Natürlich blieb das Geheimnis kein Geheimnis. Ein Günstling des Königs berichtete ihm, die Tage, die Salammbo mit dem jungen Marius verbringe, seien unschuldig genug — die Nächte jedoch keineswegs. Der König war bestürzt und gleichzeitig ratlos. Einerseits konnte er über die Unkeuschheit seiner Frau nicht hinwegsehen, andererseits konnte er nicht tun, was er normalerweise getan hätte, nämlich den Verführer umbringen. Also rettete er an Würde, was zu retten war, indem er Gaius Marius wissen ließ, die Situation sei zu delikat, als daß die Flüchtlinge noch länger bleiben könnten. Er bat seinen Gast, abzufahren, sobald das Schiff mit den nötigen Vorräten versehen sei.
    »Du Dummkopf!« knurrte Marius, als sie zum Hafen hinuntergingen. »Hätte es nicht genug gewöhnliche Frauen gegeben? Mußtest du unbedingt eine von Hiempsals Frauen verführen?«
    Sein Sohn grinste und versuchte, zerknirscht auszusehen, was ihm aber mißlang. »Tut mir leid, Vater, aber sie war so wunderbar... Außerdem habe nicht ich sie verführt, sondern sie mich.«
    »Du hättest ihr Angebot auch ausschlagen können.«
    »Hätte ich«, sagte der junge Marius verstockt, »habe ich aber nicht. Sie war wirklich wunderbar.«
    »Mag sein, aber jetzt ist sie das nicht mehr, mein Sohn. Das törichte Weibsbild mußte sich deinetwegen von seinem Kopf trennen.«
    Der junge Marius grinste weiter. Er wußte genau, daß sich sein Vater nur

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