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MoR 03 - Günstlinge der Götter

MoR 03 - Günstlinge der Götter

Titel: MoR 03 - Günstlinge der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Kreuzverhör nahm und die Verteidigung deren Zeugen wenn nötig erneut vernehmen konnte. Es folgte eine lange Debatte zwischen dem Chefankläger und dem Hauptverteidiger; solche Debatten waren auch zwischen einzelnen Zeugen möglich, wenn eine der Parteien es wünschte. Die actio prima war beendet, wenn der Hauptverteidiger seine letzte Rede gehalten hatte.
    Die actio secunda war im Prinzip eine Wiederholung der actio prima. Allerdings wurden dabei nicht immer Zeugen aufgerufen. In diesem zweiten Teil wurden die größten und leidenschaftlichsten Reden gehalten, denn nach den Schlußplädoyers der Anklage und der Verteidigung mußten die Geschworenen ihr Urteil sprechen. Sie hatten keine Zeit, das Urteil zu diskutieren, entschieden also, während sie das Schlußplädoyer des Hauptverteidigers noch in den Ohren hatten. Dies war der Hauptgrund, warum Cicero gerne verteidigte und es haßte anzuklagen.
    Mittlerweile wußte er jedoch, wie er das Verfahren gegen Verres gewinnen konnte, vorausgesetzt, daß sich der Vorsitzende des Gerichts entgegenkommend verhielt.
    »Prätor Manius Acilius Glabrio, Vorsitzender dieses Gerichts, ich möchte meinen Prozeß etwas anders führen als üblich«, begann Cicero. »Was ich vorschlage, ist jedoch keineswegs illegal. Es ist nur neu. Der Grund meines Vorschlags liegt in der außerordentlich großen Zahl von Zeugen, die ich aufrufen werde, und in der ebenso großen Anzahl verschiedenartiger Vergehen, deren sich der Angeklagte Gaius Verres schuldig gemacht hat. Ist der Vorsitzende gewillt, eine kurze Skizze meines Vorschlags anzuhören?«
    Hortensius stürmte nach vorne. »Was soll das? Was geht hier vor?« protestierte er. »Ich frage noch einmal. Was sind das für Neuerungen? Der Prozeß gegen Gaius Verres muß auf die übliche Art durchgeführt werden. Darauf bestehe ich!«
    »Ich werde mir anhören, was Cicero vorzuschlagen hat«, sagte Glabrio, »und zwar ohne Unterbrechungen«, fügte er sanft hinzu.
    »Ich möchte gerne all die langen Reden vermeiden«, begann Cicero, »und ich möchte mich jeweils auf eine bestimmte Art von Vergehen konzentrieren. Die Untaten von Gaius Verres sind so zahlreich und so verschieden, daß es den Geschworenen sehr schwerfallen wird, sie alle getrennt im Kopf zu behalten. Indem ich jede Kategorie von Verbrechen einzeln behandle, will ich dem Gericht helfen, den Überblick zu behalten, das ist alles. Ich schlage deshalb vor, daß ich jeweils ein Verbrechen kurz skizziere und dann alle Zeugen und Beweise präsentiere, die mit dem betreffenden Verbrechen zu tun haben. Wie man sieht, habe ich die Absicht, allein zu arbeiten — ich habe keinen einzigen assistierenden Anwalt mitgebracht. In der actio prima dieses Verfahrens sollte weder die Anklage noch die Verteidigung lange Reden halten. Sie würden nur die kostbare Zeit des Gerichts verschwenden, besonders in Anbetracht der Tatsache, daß es dieses Jahr noch mindestens einen weiteren Fall zu verhandeln hat — den des Quintus Curtius. Ich schlage daher vor, all die langen Reden für die actio secunda aufzusparen. Die Geschworenen werden erst nach den großartigen Reden der actio secunda ihr Urteil sprechen. Ich sehe keinen Grund, warum mein Kollege Quintus Hortensius etwas gegen einen Vorschlag einwenden sollte, der es den Geschworenen ermöglicht, in der actio secunda leidenschaftliche Reden zu hören, die den Reiz des Neuen haben, weil sie tatsächlich neu sind. Wie spannend, wie erfrischend und wie vergnüglich wird es sein, diese Reden zu hören!«
    Hortensius war zunächst etwas unsicher; doch dann kam ihm Ciceros Vorschlag durchaus plausibel vor. Er hatte nichts gesagt, was der Verteidigung das Recht aufs letzte Wort beschneiden würde. Außerdem fand Hortensius den Gedanken sehr attraktiv, ganz zum Schluß der actio secunda sein Bestes zu geben und das Publikum mit einer juristischen Glanzleistung zu verblüffen. Ja, Cicero hatte recht! Es war gut, die langweilige Beweisaufnahme in der actio prima so schnell wie möglich hinter sich zu bringen und sich das Leuchtfeuer von Alexandria für das große Finale aufzusparen.
    Deshalb nickte Hortensius nur, als Glabrio ihn fragend ansah, und sagte ruhig: »Bitte Marcus Tullius, seinen Vorschlag näher auszuführen.«
    »Führe deinen Vorschlag näher aus, Marcus Tullius«, sagte Glabrio.
    »Ich habe nicht viel mehr zu sagen, Manius Acilius. Nur daß die Anwälte der Verteidigung nicht länger reden sollen als ich selbst - nur in der actio prima

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