MoR 03 - Günstlinge der Götter
natürlich! In der actio secunda bekommt die Verteidigung alle Redezeit, die sie will. Da ich mich mit einer erklecklichen Zahl hervorragender Verteidiger konfrontiert sehe, während ich wie gesagt ganz allein die Anklage vertrete, sollte der Verteidigung dieser Vorteil wohl mehr als genügen. Ich verlange nur dies: Die actio prima soll durchgeführt werden, wie ich es skizziert habe.«
»Dein Vorschlag ist durchaus verdienstvoll, Marcus Tullius«, sagte Glabrio. »Was meinst du dazu, Quintus Hortensius?«
»Laßt uns verfahren, wie Marcus Tullius vorgeschlagen hat«, sagte Hortensius.
Nur Gaius Verres sah besorgt aus. »Wenn ich nur wüßte, was Cicero im Schilde führt«, flüsterte er Metellus dem Zicklein ins Ohr. »Hortensius hätte nicht zustimmen sollen!«
»Ich kann dir versichern«, flüsterte sein Schwager zurück, »daß die Geschworenen alle Zeugenaussagen vergessen haben werden, wenn die actio secunda vorüber ist.«
»Warum besteht Cicero dann auf diesen Änderungen?«
»Weil er weiß, daß er verlieren wird, und trotzdem einen guten Eindruck hinterlassen will. Das kann er nur mit einer Neuerung erreichen. Caesar hat denselben Weg eingeschlagen, als er den älteren Dolabella verklagte — er bestand auf Neuerungen. Es hat ihm viele Lorbeeren eingebracht, obwohl er den Fall verlor. Genauso wird es auch Cicero ergehen. Sei unbesorgt, Hortensius wird mit Sicherheit gewinnen!«
Bevor er mit Feuereifer daranging, die erste Kategorie von Verbrechen zu umreißen, richtete Cicero noch einige allgemeine Bemerkungen an die Geschworenen:
»Vergeßt nicht, daß der Senat unserem Stadtprätor Lucius Aurelius Cotta den Auftrag erteilt hat, eine Untersuchung über die Zusammensetzung der Gerichte durchzuführen — und daß der Senat beschlossen hat, der Volksversammlung ein Gesetz zur Verabschiedung zu empfehlen, das auf den Ergebnissen von Cottas Untersuchung beruht. In der Zeit zwischen Gaius Gracchus und der Herrschaft unseres Diktators Sulla hat der Senat ein Recht verloren, das ihm zuvor niemand streitig gemacht hatte — das Recht, die Geschworenen bei den Strafverfahren gegen römische Bürger zu stellen. Dieses Privileg hat Gaius Gracchus den Rittern zugesprochen — und wir alle wissen, welche Folgen das hatte! Sulla gab das Recht, die neuen ständigen Gerichtshöfe zu besetzen, wieder an den Senat zurück. Aber die Tatsache, daß die Zensoren vierundsechzig Männer aus dem Senat ausstoßen mußten, zeigt, daß wir Senatoren des Vertrauens nicht immer würdig gewesen sind, das Sulla in uns gesetzt hat. Gaius Verres ist nicht der einzige, der heute hier vor Gericht steht. Auch der Senat von Rom steht vor Gericht! Wenn sich dieses senatorische Gericht nicht anständig und ehrenhaft verhält, dann kann niemand Lucius Cotta einen Vorwurf daraus machen, wenn er empfehlen sollte, daß uns eingeschriebenen Vätern das Recht, die Geschworenen zu stellen, wieder entzogen wird. Geschworene dieses Gerichts, ich flehe euch an, vergeßt nicht einen Augenblick, welch gewaltige Verantwortung auf euren Schultern lastet — die Verantwortung für das Schicksal und den Ruf des Senats von Rom!«
Nach dieser Vorrede begann Cicero seine Zeugen zu vernehmen und sein Beweismaterial vorzulegen. Eine Aussage jagte die andere: Getreidediebstahl in einem Ausmaß von dreihunderttausend Scheffel in einem einzigen Jahr in einem einzigen kleinen Bezirk, ganz zu schweigen von den in anderen Bezirken gestohlenen Mengen. Illegale Aneignung von Land, wodurch die Zahl der Bauern in einem einzigen Bezirk innerhalb von drei Jahren von zweihundertfünfzig auf achtzig vermindert wurde, ganz zu schweigen von dem Land, das Verres in anderen Bezirken an sich gebracht hatte. Unterschlagung von Geldern des Schatzamts, die für den Ankauf von Getreide bestimmt waren. Erhebung von Wucherzinsen von vierundzwanzig und mehr Prozent. Vernichtung oder Fälschung der Berichte über die eingezogenen Abgaben. Diebstahl von Statuen und das Herausstemmen der Juwelen aus kostbaren Trinkgefäßen bei einem Gastmahl unter den Augen des Gastgebers. Diebstahl sämtlicher goldener und silberner Teller nach einem anderen Gastmahl, wobei diese in Säcke gestopft wurden, um den Abtransport zu erleichtern. Erpressung zum Bau eines Schiffes, das nie bezahlt wurde, um einen Teil der Beute nach Rom zu transportieren. Duldung von Piratenstützpunkten gegen Beteiligung an den Profiten der Piraten. Fälschung von Testamenten zum Vorteil des Angeklagten und so weiter und
Weitere Kostenlose Bücher