MoR 05 - Rubikon
führte, daß sie sich mit zunehmender Entfernung vom Ursprungsort immer mehr veränderten.
Aus der Nachricht »Die Römer in Cenabum wurden niedergemetzelt!« wurde so hundertsechzig Meilen weiter »Die Carnuten befinden sich in offenem Aufruhr und haben alle Römer des Landes umgebracht!« Denn so weit hatte sie sich bis zum Abend desselben Tages herumgesprochen — bis nach Gergovia, dem wichtigsten oppidum der Arverner, wo Vercingetorix sie hörte.
Endlich! Endlich! Ein Aufstand nicht bei den Belgen oder den Kelten der Westküste, sondern mitten in Gallien! Die Stämme dort kannte er. Sie würden seine Stellvertreter stellen, wenn das große Heer aller Gallier sich formierte; sie kannten den Wert von Kettenhemden und Helmen und die römische Art der Kriegsführung. Wenn die Carnuten rebellierten, würden bald auch Senonen, Parisier, Suessionen, Biturigen und die anderen Völker Zentral-Galliens sich erheben. Und dann würde er, Vercingetorix, sie zum Heer aller Gallier zusammenschweißen!
Natürlich war er selbst auch nicht untätig geblieben, obwohl er, wie sich jetzt herausstellte, nicht annähernd so erfolgreich gewesen war wie Gutruatus. Die Arverner hatten nämlich den verheerenden Krieg, den sie vor fünfundsiebzig Jahren gegen den berühmten Feldherrn Ahenobarbus geführt hatten, nicht vergessen. Sie waren damals vernichtend geschlagen worden; fast alle Männer waren ums Leben gekommen, und zum erstenmal hatten Tausende gallischer Frauen und Kinder die Sklavenmärkte überschwemmt.
»Fünfundsiebzig Jahre haben wir gebraucht, um uns davon zu erholen, Vercingetorix«, sagte Gobannitio in der Ratsversammlung, sichtlich um Geduld bemüht. »Einst waren wir das mächtigste Volk Galliens. In unserem Stolz zogen wir gegen Rom zu Feld — und wurden ausgelöscht. Wir mußten die Vormachtstellung den Haeduern, Carnuten und Senonen überlassen — Völkern, die uns heute noch an Bedeutung übertreffen, obwohl wir stetig aufholen. Deshalb nein! Wir werden nicht noch einmal gegen Rom kämpfen.«
»Die Zeiten haben sich geändert, Onkel!« rief Vercingetorix. »Ja, wir wurden besiegt! Wir wurden vernichtet, gedemütigt und in die Sklaverei verkauft! Aber wir waren nur eines von vielen Völkern! Du unterscheidest zwischen Senonen und Haeduern, zwischen arvernischer Macht und der Macht der Haeduer oder Carnuten! Aber was heute geschieht, ist etwas völlig anderes! Wir werden uns zusammenschließen zu einem Volk mit einem Ziel — wir wollen freie Menschen in einem freien Land sein! Wir sind keine Arverner oder Haeduer oder Carnuten! Wir sind Gallier, eine einzige Bruderschaft! Das ist der Unterschied! Vereint werden wir Rom so endgültig besiegen, daß es nie mehr Soldaten zu uns schickt. Und eines Tages wird Gallien in Italia einmarschieren, eines Tages wird Gallien die Welt regieren!«
»Das sind doch Träume, Vercingetorix, absurde Träume«, winkte Gobannitio müde ab. »Zwischen den Völkern Galliens wird niemals Eintracht herrschen.«
Das Ergebnis dieser und zahlreicher weiterer Auseinandersetzungen in der arvernischen Ratsversammlung war, daß Vercingetorix Gergovia künftig nicht mehr betreten durfte. Trotzdem blieb er in seinem Haus am Rand von Gergovia wohnen und konzentrierte seine Bemühungen auf die jüngeren Arverner. Zusammen mit seinen Vettern Critognatus und Vercassivellaunus versuchte er fieberhaft, ihnen klarzumachen, daß ihr einziges Heil in der Vereinigung lag.
Er träumte nicht, er plante nüchtern. Und er wußte, daß die größte Schwierigkeit sein würde, die Führer der anderen Völker davon zu überzeugen, daß er, Vercingetorix, das große Heer aller Gallier anführen mußte.
Als die Nachricht vom Massaker in Cenabum in Gergovia eintraf, war dies für Vercingetorix das lang erwartete Zeichen. Er rief seine Anhänger zu den Waffen, marschierte in Gergovia ein und stürmte die Ratsversammlung. Gobannitio starb.
»Ich bin euer König«, verkündete er den arvernischen Adligen, die sich in dem brechend vollen Saal drängten. »Und bald werde ich König eines vereinten Gallien sein! Ich ziehe jetzt nach Carnutum, um mit den Führern der anderen Völker zu sprechen, und auf dem Weg dorthin werde ich alle Gallier zu den Waffen rufen.«
Die Stämme leisteten seinem Ruf Folge. Obwohl der Winter bevorstand, holten die Männer ihre Rüstungen hervor, schärften die Klingen ihrer Schwerter und trafen Vorkehrungen für eine längere Abwesenheit von der Heimat. Eine gewaltige Woge der Erregung
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