MoR 05 - Rubikon
verteidigten, konnten Caesar zwar nicht sehen, hörten aber die Hochrufe. Mit neuer Kraft schleuderten sie ihre pila in die Gesichter der Feinde, zogen ihre Schwerter und griffen an. Dasselbe taten die Legionäre, die den Innenwall gegen Vercingetorix verteidigten. Dessen Männer begannen zurückzuweichen. Das Wiehern der Pferde und die Schreie der Gallier gellten Vercingetorix in den Ohren. Labienus war inzwischen über die gallische Nachhut hergefallen.
Viele der Arverner, Mandubier und Biturigen waren bereit, bis zum Tod zu kämpfen, aber Vercingetorix wollte das nicht zulassen. Er konnte die Männer in seiner Nähe um sich scharen, veranlaßte Biturgo und Daderax, dasselbe zu tun — wo war Critognatus? —, und kehrte auf den Berg nach Alesia zurück.
In der Zitadelle angelangt, wollte Vercingetorix mit niemandem sprechen. Er stand auf der Mauer und beobachtete für den Rest des Tages, wie die siegreichen Römer — wie hatten sie nur siegen können? — das Schlachtfeld aufräumten. Wie erschöpft sie waren, ging daraus hervor, daß sie die Gallier nicht verfolgten. Erst als es schon fast dunkel war, ritt Labienus mit einer Reiterarmee über den Berg im Südwesten in Richtung des gallischen Lagers, um noch möglichst viele Gegner niederzumetzeln.
Vercingetorix ließ Caesar, der noch nicht abgesessen war und immer noch unentwegt in seinem scharlachroten Mantel umhertrabte, nicht aus den Augen. Was für ein großartiger Feldherr! Obwohl er gesiegt hatte, wurden bereits die Breschen in der römischen Umwallung repariert und alles für den Fall eines neuerlichen Angriffs vorbereitet. Seine Legionen hatten ihm zugejubelt. Inmitten des heftigsten Gefechts, von allen Seiten bedrängt, hatten sie ihn hochleben lassen, als ob sie tatsächlich glaubten, daß sie mit ihm an der Spitze nicht verlieren könnten. Hielten sie ihn für einen Gott? Warum eigentlich nicht? Selbst die Tuatha liebten ihn, den Römer. Wenn die Tuatha ihn nicht lieben würden, hätte Gallien gesiegt. Die Götter liebten immer den Tüchtigen.
Vercingetorix kehrte in seine Kammer zurück. Im Schein der Lampe holte er die goldene Krone unter dem schlichten weißen, noch immer mit dem Mistelzweig verzierten Tuch hervor. Er legte sie auf den Tisch und setzte sich davor, ohne sie zu berühren. So verrannen die Stunden. Lautes Gelächter tönte von den römischen Befestigungen herauf. Leises Wimmern verriet ihm, daß Daderax die ausgesetzten Mandubier in die Zitadelle geholt hatte und mit der Fleischbrühe der letzten Rinder fütterte. Der Geruch der Brühe war ekelerregend, ebenso der Gestank der verwesenden Leichen vor den römischen Gräben. Und über allem hing drückend, wie stummer Donner, der Geist der Tuatha. Eine ewige Finsternis war angebrochen. Gallien war am Ende und er, Vercingetorix, auch.
Mit Daderax und Biturgo an seiner Seite sprach er am Morgen auf dem Marktplatz von Alesia zu den Überlebenden. Von Critognatus hatte niemand gehört; er war draußen geblieben, tot oder sterbend oder gefangen.
»Es ist aus«, sagte Vercingetorix ruhig. Seine Stimme war auf dem ganzen Platz deutlich zu hören. »Es wird kein vereinigtes Gallien geben, und wir werden die Unabhängigkeit nicht erlangen. Die Römer werden unsere Herren sein, aber ich glaube nicht, daß ein so großzügiger Gegner wie Caesar uns unter das Joch zwingen wird. Ich glaube, Caesar will Frieden mit uns schließen, er will uns nicht vernichten. Ein fruchtbares, blühendes Gallien ist für die Römer von größerem Nutzen als eine Wildnis.«
Sein ausgemergeltes Gesicht blieb unbewegt, als er fortfuhr. »Der Tod auf dem Schlachtfeld gilt bei den Tuatha viel, nichts ist ehrenvoller. Doch fordert unsere Religion nicht von uns, daß wir unserem Leben selbst ein Ende setzen. Ich weiß, daß sich andere Besiegte lieber umgebracht haben, als in Gefangenschaft zu gehen. Die Kilikier taten das, als Alexander der Große kam, und genauso die kleinasiatischen Griechen und die Italiker. Aber wir nicht! Das Leben ist eine Prüfung, die wir bis zum Ende bestehen müssen, egal wie dieses Ende aussieht.
Doch bitte ich euch, euch mit eurer ganzen Kraft dafür einzusetzen, daß Gallien ein großes Land wird, auf eine Weise, die die Römer nicht beanstanden können. Und eines Tages — eines Tages! — wird Gallien sich erneut erheben! Das ist nicht nur ein Traum! Gallien wird wieder aufstehen! Es kann nicht untergehen, denn es ist groß! Auch wenn ihr Rom viele Generationen lang dienen müßt,
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