MoR 05 - Rubikon
müssen — Cato hatte eine entsetzliche Leere und Trostlosigkeit empfunden, die nicht von ihm gewichen war, bis heute nicht, elf lange Jahre später. Liebe war immer auch Verrat — am Verstand, an der Selbstbeherrschung, an der Fähigkeit, sich über Schwächen zu erheben und ein selbstloses Leben zu führen. Und sie mündete in eine Trauer, die noch einmal zu ertragen er zu alt war.
Trotzdem schlüpfte er, als die Sonne hoch genug stand, in eine frische, mit Kreide geweißte Toga und kehrte zum Haus des Lucius Marcius Philippus zurück, um dort um die Hand von Philippus’ Tochter anzuhalten — zwischen Bangen und Hoffen, daß Philippus nein sagen würde.
Aber Philippus sagte ja.
»Das verschafft mir ein Standbein in beiden Lagern«, frohlockte er und drückte Catos Hand. »Mit Caesars Nichte verheiratet, Vormund seines Großneffen und außerdem Schwiegervater von Cato, besser könnte es nicht sein.«
Auch die Ehe hätte besser nicht sein können, obwohl Cato angesichts des reinen Glücks, das er erlebte, unablässig von bohrenden Zweifeln geplagt wurde. Wie hatte er das verdient? Es konnte doch nicht recht sein, so im Genuß zu schwelgen. In der Hochzeitsnacht hatte er den sicheren Beweis erhalten, daß Philippus’ Tochter noch Jungfrau war; aber woher hatte sie dann diese Leidenschaft, dieses Wissen? Denn Cato wußte ja nichts von Frauen, hatte keine Ahnung, was kleine Mädchen aus Unterhaltungen, erotischen Wandgemälden, phallischen Gegenständen, Geräuschen hinter verschlossenen Türen, flüchtigen Blicken oder von erfahrenen älteren Brüdern lernten. Es beunruhigte ihn, daß er ihrem Charme hilflos erlag und so ausschließlich von seinen heftigen Gefühlen für sie beherrscht wurde. Venus selbst hatte ihm diese Braut zugeführt, während er ein Geschöpf des eisernen Dis war.
Deshalb nahm er, als zwei Jahre nach der Hochzeit der senile, alte Hortensius zu ihm kam und seine Tochter oder eine seiner Nichten heiraten wollte, keinen Anstoß an dessen ungeheuerlicher letzter Bitte — daß Cato ihm erlauben sollte, seine Frau zu heiraten. Schlagartig erkannte Cato den einzigen Weg, der ihn von seiner Pein erlösen und ihm beweisen würde, daß er noch sich selbst gehörte. Er würde Marcia Quintus Hortensius überlassen, dem zahnlosen, haarlosen und kraftlosen alten Lüstling; Hortensius würde in unaussprechlicher Weise ihr Fleisch beflecken, sie furzend und sabbernd zur Fellatio zwingen und sie mit Abscheu erfüllen, sie, seine geliebte Marcia, angesichts von deren zukünftigem Leid ihm das Herz blutete. Wie konnte er sie zu einem solchen Schicksal verurteilen? Doch er mußte es, wollte er nicht verrückt werden.
Und so geschah es, und entgegen den Gerüchten nahm er keinen einzigen Sesterz von Hortensius, obgleich Philippus damals natürlich Millionen genommen hatte.
»Ich lasse mich von dir scheiden«, hatte er ihr mit seiner lautesten, barschesten Stimme mitgeteilt, »und dann verheirate ich dich mit Quintus Hortensius. Ich erwarte, daß du ihm eine gute Frau bist. Dein Vater hat bereits zugestimmt.«
Sie hatte aufrecht vor ihm gestanden, die großen Augen voller ungeweinter Tränen, und dann hatte sie die Hand ausgestreckt und ganz leicht, voller Liebe, seine Wange berührt.
»Ich verstehe, Marcus«, sagte sie. »Ja, ich verstehe. Ich liebe dich. Ich werde dich über den Tod hinaus lieben.«
»Ich will nicht, daß du mich liebst!« hatte er aufgeheult. »Ich will meinen Frieden, ich will in Ruhe gelassen werden, ich will nicht, daß mich irgend jemand liebt, schon gar nicht über den Tod hinaus! Geh zu Hortensius, und lerne mich zu hassen!«
Sie hatte nur gelächelt.
Seitdem waren fast vier Jahre vergangen, vier Jahre, in denen der Schmerz nie von ihm gewichen war, nie auch nur um ein Jota nachgelassen hätte. Er vermißte Marcia noch genauso schmerzlich wie damals in ihrer Hochzeitsnacht bei Hortensius, und immer noch quälte ihn die Vorstellung dessen, was Hortensius ihr alles angetan oder von ihr verlangt haben mochte. Noch immer hatte er den Klang ihrer Stimme im Ohr, als sie gesagt hatte, sie verstehe ihn und sie würde ihn über den Tod hinaus lieben. Sie liebte ihn so sehr, daß sie eine Bestrafung auf sich nahm, die sie nicht verdient hatte, nie und nimmer verdient haben konnte. Und er hatte das alles nur getan, um sich zu beweisen, daß er ohne sie leben, daß er der Ekstase entsagen konnte.
Warum dachte er ausgerechnet an diesem Tag an sie, an dem er eigentlich an Curio und an
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