MoR 05 - Rubikon
damit sagen, Caesar sei vielseitig begabt?«
»So sagt man zumindest«, meinte sie versöhnlich.
»Und was sind die Talente des jungen Gaius Octavius?«
»Seine Vernunft«, sagte sie, »seine Tapferkeit, sein Selbstbewußtsein und sein Wagemut.«
»Dann ist er wirklich ganz der Großonkel.«
Marcia kicherte. »Nein, er ist er selbst.«
Der zweite Gang wurde abgeräumt, und in Philippus regte sich der Feinschmecker. »Marcus Cato«, sagte er, »ich habe ein neues Dessert zubereiten lassen, das du unbedingt probieren mußt!« Er ließ den Blick suchend über Obstsalate, Rosinengebäck, in Honig getränkte Kuchen und zahllose Käsesorten schweifen. »Aha!« rief er dann, als ein Sklave mit dem Dessert erschien, einem hellgelben Klumpen, der als Käse hätte durchgehen können, wäre er nicht auf einem Teller hereingebracht worden, der auf einer mit — Schnee? — beladenen Platte stand.
»Es wurde auf dem Mons Fiscellus hergestellt, und in keinem anderen Monat hättest du es kosten können. Honig, Eier und der von der Milch eines zweijährigen Mutterschafs abgeschöpfte Rahm werden in einem Faß, das in einem Faß mit gesalzenem Schnee steht, verquirlt und dann, in Schnee verpackt, im Galopp nach Rom gebracht. Ich nenne das Gericht Mons-Fiscellus-Götterspeise.«
Vielleicht hatte die Unterhaltung über Caesars Großneffen einen bitteren Geschmack in Catos Mund hinterlassen, jedenfalls lehnte er höflich ab, und nicht einmal Marcia konnte ihn überreden, das Dessert zu probieren.
Kurz darauf zogen sich die beiden Frauen zurück. Schlagartig war Catos Vergnügen an dem Besuch in der Höhle der Epikureer beendet. Ihm wurde so schlecht, daß er zuletzt die Latrine aufsuchen mußte, um sich unauffällig zu übergeben. Wie konnte man nur so viel essen? Sogar die Latrine war luxuriös ausgestattet! Obwohl es, wie er zugeben mußte, sehr angenehm war, sich den Mund mit einem dünnen Wasserstrahl auszuspülen und dann darunter die Hände zu waschen.
Auf dem Rückweg durch die Kolonnade kam er an einer offenen Tür vorbei.
»Marcus Cato!«
Er blieb stehen, spähte ins Zimmer und begegnete Marcias erwartungsvollem Blick.
»Komm doch einen Moment herein.«
Obwohl es gegen alle gesellschaftlichen Regeln Roms verstieß, trat Cato ein.
»Ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich deine Gesellschaft genossen habe«, sagte Marcia. Sie sah dabei nicht auf seine Augen, sondern auf seinen Mund.
Nein! Das war unerträglich!! Sieh mir in die Augen, Marcia, nicht auf den Mund, sonst muß ich dich küssen! Tu mir das nicht an!
Bevor er wußte, wie ihm geschah, lag sie in seinen Armen, und der Kuß war Wirklichkeit — wirklicher als jeder Kuß, den er je erlebt hatte, was angesichts seiner selbstauferlegten Askese allerdings nicht viel hieß. Cato hatte in seinem Leben nur zwei Frauen geküßt, Aemilia Lepida und Attilia, und Attilia nur selten und ohne tiefere Gefühle. Jetzt dagegen spürte er weiche und dennoch kräftige Lippen, die sich lustvoll auf die seinen preßten. Marcia schmiegte sich an ihn, seufzte, schlang ihre Zunge um seine und führte seine Hand an ihre Brüste.
Keuchend entwand Cato sich ihren Armen und floh.
Seine Verwirrung war so groß, daß er auf dem Heimweg nicht mehr wußte, welche von den hundert Türen in der engen Gasse auf dem Palatin seine war. Sein leerer Magen rebellierte, und ihr Kuß spukte in seinem Kopf herum, bis er an nichts anderes mehr denken konnte als an das unbeschreibliche Gefühl ihres Körpers in seinen Armen.
Im Atrium wurde er bereits von Athenodorus Cordylion und Statyllus erwartet, die alles über das Essen, die Speisefolge, die Gesellschaft und die Unterhaltung im Hause Philippus wissen wollten.
»Verschwindet!« schrie er und schloß sich in seinem Arbeitszimmer ein, wo er bis zur Morgendämmerung ohne einen Schluck Wein auf und ab ging. Er wollte nicht, daß sich jemand in sein Herz schlich, er wollte nicht lieben. Die Liebe war eine Falle, eine Qual, eine Katastrophe, ein Schrecken ohne Ende. All die Jahre, die er Aemilia Lepida geliebt hatte, und was war daraus geworden? Sie hatte den Schwachkopf Metellus Scipio vorgezogen. Aber die sinnliche Liebe zu Aemilia Lepida war nichts verglichen mit der Liebe, die er für seinen Bruder Caepio empfunden hatte. Caepio war einsam gestorben, während er auf Cato gewartet hatte, ohne eine Hand, an der er sich hätte festhalten können, ohne einen Freund, der ihn getröstet hätte. Es war eine Qual gewesen, ohne Caepio weiterleben zu
Weitere Kostenlose Bücher