MoR 05 - Rubikon
Geheul. Wir mußten sie waschen und ihr die Kleider wechseln, und wir versuchten mit allen Mitteln, sie zu überreden, ins Bett zu gehen, aber sie wollte nicht. Sie wollte auch nichts essen. Burgundus hielt ihr die Nase zu, während Cardixa ihr durch den Mund Wein mit Wasser verdünnt einflößte, aber wir hatten das Gefühl, daß wir damit zu weit gingen. Schon der bloße Gedanke, sie festzuhalten und zwangsweise zu ernähren, war uns allen zuwider. Wir berieten, Burgundus, Cardixa, Eutychus und die Vestalinnen, und beschlossen, daß es nicht in Deinem Sinne wäre, sie mit Gewalt zu ernähren. Wenn das falsch war, so bitten wir Dich, verzeih uns. Wir haben es mit den besten Absichten getan.
Heute morgen starb sie. Sie starb leicht und ohne Schmerzen. Die oberste Vestalin Popillia sagt, es sei eine Erlösung gewesen. Aurelia hatte seit Tagen nicht mehr verständlich mit uns kommuniziert, aber kurz vor ihrem Tod kam sie noch einmal zu sich und sprach klar, zumeist über Julia. Sie bat uns alle — auch die erwachsenen Vestalinnen waren anwesend —, für Julia der Magna Mater, der Juno Sospita und der Bona Dea zu opfern. Vor allem die Bona Dea schien ihr furchtbar wichtig, sie nahm uns das Versprechen ab, daß wir an sie denken würden. Ich mußte schwören, daß ich der Bona Dea das ganze Jahr über Schlangeneier und Milch darbringen würde, Jahr für Jahr. Aurelia schien zu fürchten, daß sonst Dir etwas Schreckliches passieren könnte. Von Dir sprach sie erst kurz vor ihrem Tod. Die letzten Worte, die sie sprach, waren: »Sagt Caesar, sein Ruhm wird um so heller strahlen.« Dann schloß sie die Augen und hörte auf zu atmen.
Weiter gibt es nichts zu berichten. Mein Vater richtet das Begräbnis aus, und er schreibt Dir natürlich auch, aber er wollte unbedingt, daß ich Dir zuerst schreibe. Es tut mir so leid. Ich vermisse Aurelia mit jedem Schlag meines Herzens.
Bitte paß gut auf Dich auf, Caesar. Ich weiß, was für ein Schlag ihr Tod für Dich ist, so kurz nach dem Julias. Ich wünschte, ich könnte verstehen, warum so etwas passiert, aber ich verstehe es nicht. Doch weiß ich, was Aurelia mit ihren letzten Worten an Dich meinte. Die Götter quälen den, den sie am meisten lieben. Dein Ruhm wird um so heller strahlen.
Auch auf diese Nachricht kamen keine Tränen.
Vielleicht wußte ich, daß es so enden mußte. Daß Mutter ohne Julia weiterlebt? Unmöglich. Warum müssen Frauen so unerträgliche Schmerzen leiden? Sie lenken nicht die Geschicke der Welt, sie tragen keine Schuld. Warum müssen sie dann so leiden?
Sie leben so abgeschlossen, so auf den Herd konzentriert, auf ihre Kinder, das Haus und ihre Männer, in dieser Reihenfolge. Es liegt in ihrer Natur. Und nichts ist für sie grausamer, als ihre Kinder zu überleben. Aber dieser Teil meines Lebens ist für immer abgeschlossen, und ich werde nicht mehr daran rühren. Ich habe niemanden mehr, der mich liebt wie eine Frau ihren Sohn oder ihren Vater, und meine kleine Frau ist eine Fremde, die ihre Katzen mehr liebt als mich. Und warum auch nicht? Die Katzen leisten ihr Gesellschaft, geben ihr so etwas wie Liebe, während ich nie da bin. Ich verstehe nichts von Liebe, außer daß sie verdient werden muß. Und obwohl ich jetzt ganz leer bin, spüre ich, wie in mir Kraft wächst. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Ihr Tod hat mich befreit. Ich werde tun, was ich tun muß. Es ist niemand mehr da, der mir das verbieten könnte.
Caesar sammelte die drei Rollen von Servilia, Calpurnia und Aurelia ein.
Die vielen mit Sack und Pack abziehenden Soldaten draußen ließen jede Menge Abfälle zurück, die in zahlreichen Feuern verbrannt wurden. Caesar war froh darüber. Das letzte Mal hatte er die glühende Kohle, die er brauchte, durch Zufall gefunden, denn bei warmem Wetter waren Feuer selten. Natürlich gab es die ewige Flamme, aber sie gehörte Vesta, und sie für gewöhnliche Zwecke zu benutzen, erforderte vorbereitende Rituale und Gebete. Caesar aber wollte jenes Mysterium als Pontifex Maximus nicht entweihen.
Aber er hatte ja, wie bei Pompeius’ Brief, Feuer zur Hand. Er warf den Brief Servilias hinein und sah ihn mit boshafter Freude verbrennen. Dann folgte, mit unbewegtem Gesicht, der Brief Calpurnias. Als letzter kam der Brief Aurelias an die Reihe, ungeöffnet, doch ohne zu zögern. Was immer sie gesagt hatte, wann immer sie ihm geschrieben hatte, es war nicht mehr wichtig. Ascheflocken tanzten durch die Luft, als Caesar sein Haupt mit den Falten
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