MoR 05 - Rubikon
Perle.
Caesar, alle sagen, es sei meine Aufgabe, Dir zu schreiben und die Nachricht mitzuteilen. Ach, wäre es doch nicht so. Ich habe weder die Weisheit noch das Alter, zu wissen, wie man so etwas am besten anfängt, deshalb verzeih mir bitte, wenn ich Dir in meiner Unwissenheit alles noch schwerer erträglich mache, als es, wie ich weiß, sowieso schon ist.
Julias Tod brach Deiner Mutter das Herz. Aurelia war so sehr Julias Mutter; sie zog sie groß, und sie freute sich so sehr über ihre Hochzeit, ihr Glück und ihr schönes Leben.
Wir führen hier in der Domus Publica ein sehr behütetes Leben, wie es sich für das Haus der vestalischen Jungfrauen ziemt. Obwohl wir mitten auf dem Forum wohnen, berührt uns das Leben draußen mit all seinen Aufregungen nur am Rand. Es war mir und Aurelia immer recht so; wir lebten in einer friedlichen Enklave von Frauen, ohne Skandale, Verdächtigungen und Anschuldigungen. Aber Julia, die uns oft besuchte, wenn sie in Rom war, brachte immer einen Hauch der weiten Welt mit, Tratsch, Lachen und Scherze.
Als sie starb, brach Deiner Mutter das Herz. Ich stand an Julias Bett und erlebte, wie stark Aurelia war, Pompeius zuliebe und Julia. Sie war so freundlich, so vernünftig in allem, was sie sagte. Lächelte, wenn sie das Gefühl hatte, daß es richtig war, hielt Julias Hand, während Pompeius die andere hielt. Sie war es, die die Ärzte wegschickte, als sie erkannte, daß nichts und niemand Julia retten konnte. Sie war es, die dafür sorgte, daß wir die verbleibenden Stunden in Ruhe und unter uns verbringen konnten. Und als Julia von uns gegangen war, trat sie ihren Platz an Pompeius ab, ließ ihn mit Julia allein. Sie schob mich aus dem Zimmer und brachte mich nach Hause, zur Domus Publica.
Es ist kein langer Weg, wie Du weißt. Sie sagte kein Wort. Dann, als wir die Tür hinter uns zugemacht hatten, stieß sie einen furchtbaren Schrei aus und begann zu heulen. Ich könnte nicht sagen, sie weinte. Sie heulte auf den Knien, Bäche von Tränen stürzten ihr aus den Augen, und sie schlug sich an die Brust und raufte sich die Haare. Heulte. Kratzte sich blutige Striemen ins Gesicht und in den Hals. Die erwachsenen Vestalinnen eilten herbei, und wir weinten alle; wir versuchten Aurelia aufzurichten und sie zu beruhigen, ohne selbst mit Weinen aufhören zu können. Ich glaube, zuletzt knieten wir alle neben ihr auf dem Boden, legten die Arme um sie und um uns und verharrten so den größten Teil der Nacht, während Aurelia in der schrecklichsten Verzweiflung schrie und schluchzte.
Dann war es vorbei. Am Morgen konnte sie sich ankleiden und zu Pompeius’ Haus zurückkehren, um ihm bei den Dingen zu helfen, die jetzt erledigt werden mußten. Und dann starb das arme kleine Baby, aber Pompeius weigerte sich, es zu sehen und zu küssen, und so war es wieder Aurelia, die das Begräbnis des Kindes vorbereitete. Es wurde noch am selben Tag begraben, und sie und ich und die erwachsenen Vestalinnen waren die einzigen Trauergäste. Es hatte keinen Namen, und keiner von uns wußte, wie das dritte praenomen dieses Zweiges der Familie Pompeius lautet. Wir kannten nur Gnaeus und Sextus, die beide schon besetzt waren. Also nannten wir ihn Quintus, was für uns richtig klang. Auf seinem Grab wird deshalb Quintus Pompeius Magnus stehen. Vorläufig bewahre ich die Asche auf. Mein Vater kümmert sich um das Grab, da Pompeius es nicht tut.
Über Julias Beerdigung brauche ich nichts zu sagen, ich weiß, daß Pompeius Dir davon geschrieben hat.
Doch das Herz Deiner Mutter war gebrochen. Sie war wie abwesend, ließ sich treiben — Du weißt, wie lebhaft und energisch sie war, aber jetzt trieb sie einfach dahin. Es war schrecklich! Sobald sie jemand von uns sah — egal ob das Mädchen für die Wäsche, Eutychus, Burgundus, Cardixa, eine Vestalin oder mich —, blieb sie stehen und rief: »Warum nicht ich? Warum mußte es sie treffen? Ich bin doch niemandem mehr nütze! Warum nicht ich?« Und was konnten wir darauf antworten? Wie hätten wir nicht weinen sollen? Dann schluchzte sie wieder auf und fragte wieder: »Warum nicht ich?«
Das ging so zwei Monate lang, aber nur in unserer Gegenwart. Wenn Leute uns besuchten, um zu kondolieren, riß sie sich zusammen und benahm sich, wie die Besucher es von ihr erwarteten. Ihr Aussehen erschreckte freilich alle.
Dann ging sie in ihr Zimmer, setzte sich auf den Boden und schaukelte summend hin und her. Gelegentlich schrie sie auf, und dann begann wieder das
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