MoR 05 - Rubikon
Quintus Cicero einen weiteren Brief auf Griechisch an Caesar, gab ihn einem Sklaven oder Gallier, der für viel Geld bereit war, ihn zu befördern, und schickte den Mann ins Dunkel hinaus.
Täglich führten die Nervier den Boten vom Vorabend auf eine Anhöhe, schwenkten triumphierend den Brief und tanzten heulend herum, bis der Bote erneut mit Zangen, Messern oder heißen Eisen gefoltert wurde. Dann wurden sie still, damit die entsetzten Römer die gellenden Schreie des Boten hören konnten.
»Wir ergeben uns nicht«, sagte Quintus Cicero auf seinen Rundgängen zu den Legionären. »Diese Genugtuung dürft ihr diesen mentulae nicht geben!«
Die Angesprochenen grinsten daraufhin, winkten ihm zu, erkundigten sich nach seinem Rücken, belegten die Nervier mit Schimpfworten, bei denen Quintus Ciceros großer Bruder in Ohnmacht gefallen wäre, und kämpften weiter.
Dann kam Titus Pullo mit grimmigem Gesicht. »Quintus Cicero, wir haben ein neues Problem«, sagte er heiser.
»Was denn?« fragte der Befehlshaber betont munter, während er versuchte, aufrecht zu stehen.
»Sie haben unser Wasser umgeleitet. Der Bach ist ausgetrocknet.«
»Du weißt, was zu tun ist, Pullo. Grabt Brunnen, oberhalb der Latrinen. Und grabt Jauchegruben.« Er kicherte. »Ich würde euch gern dabei helfen, aber Graben kommt für mich derzeit leider nicht in Frage.«
Pullos Miene entspannte sich. Wo hatte es je einen Kommandanten gegeben, der trotz seines Rückens und der anderen Probleme so heiter und unerschütterlich optimistisch war?
Zwanzig Tage nach ihrem ersten Angriff griffen die Nervier immer noch jeden Morgen an. Der Vorrat an Boten war zusammen mit dem Wasser ausgegangen, und Quintus Cicero mußte sich damit abfinden, daß keiner seiner Boten es durch die Linien der Nervier geschafft hatte. Gut, dann blieb keine Wahl, als sich weiter zu verteidigen, tagsüber gegen die verdammten Nervier zu kämpfen und nachts die Schäden zu reparieren und einen Vorrat von allem anzulegen, was bei Anbruch der Morgendämmerung von Nutzen sein konnte — und darüber nachzudenken, wann die Ruhr und andere Seuchen ausbrechen würden. Wie würde er sich an den Nerviern rächen, wenn er hier lebend herauskam! Die Männer der Neunten waren noch keineswegs am Ende, ihre Moral war ungebrochen, und wenn sie nicht wie besessen kämpften, arbeiteten sie wie besessen.
Ruhr und Fieber brachen aus, doch plötzlich drohten noch schlimmere Gefahren.
Die Nervier bauten einige Belagerungstürme — nicht zu vergleichen mit den römischen Türmen natürlich, aber doch bedrohliche Geräte, wenn sie den Wällen so nahe kamen, daß die Nervier von ihnen aus ihre Speere schleudern und das Lager mit Steinen bombardieren konnten.
»Wo haben sie denn ihre Geschütze her?« sagte der Kommandant empört zu Vorenus. »Wenn das keine echten römischen ballistae sind, dann bin ich nicht der kleine Bruder des großen Cicero!«
Vorenus wußte genausowenig wie Quintus Cicero, daß die Wurfmaschinen aus dem verlassenen Lager der Dreizehnten Legion kamen, und so war das Auftauchen der römischen ballistae lediglich eine zusätzliche Sorge. Bedeuteten sie, daß ganz Gallien sich erhoben hatte, daß andere Legionen angegriffen und besiegt worden waren, daß Botschaften vielleicht sogar durchgekommen waren, aber niemand mehr dagewesen war, sie zu empfangen und zu beantworten?
Mit den Steinen konnte man noch fertigwerden, doch wurden die Nervier immer erfinderischer. Als sie erneut angriffen, luden sie die Wurfmaschinen mit flammenden Bündeln trockenen Reisigs und schossen sie ins Lager. Da inzwischen sogar die Kranken die Wälle bemannten, gab es im Lager nur wenige, die das überall in der hölzernen Lagerstadt aufflackernde Feuer löschen und den in Panik geratenen Packtieren die Augen verbinden und sie ins Freie führen konnten. Sklaven, Nichtkombattanten und Verticos Leute versuchten, mit der neuen Gefahr fertig zu werden und zugleich die Legionäre mit dem zu versorgen, was sie auf den Wällen brauchten. Die Moral der Legionäre war freilich so stark, daß keiner sich auch nur ein einziges Mal umdrehte, um zu sehen, wie hinter ihm persönliche Habe und Proviant in Flammen aufgingen, die ein beißender, frühwinterlicher Wind hoch auflodern ließ. Sie harrten an ihrem Platz aus und kämpften, bis die Angriffsflut wieder einmal zurückgeschlagen war.
Mitten im Getümmel eines besonders heftigen Angriffs schlossen Pullo und Vorenus eine Wette ab, wer von ihnen der Tapferste
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