MoR 05 - Rubikon
hatte, was Marius über Gott und die Welt sagte, unter anderem, wie nützlich es sei, wenn Legionäre lesen und schreiben konnten.
»Das ist wie eine gebildete Art von Schwimmenlernen«, hatte Marius durch seinen schiefen Mund genuschelt. »Rettet Leben.«
Seltsam, dachte Quintus Cicero, daß sein großer Bruder immer erträglicher wurde, je größer die Entfernung zwischen ihnen war. Vom Winterlager unter den Nerviern aus schien er geradezu der ideale große Bruder, während er als mehr oder weniger Nachbar in der Via Tusculana, von wo aus er jederzeit unangekündigt durch die Tür treten konnte, gewöhnlich eine Plage war, voller wohlgemeinter Ratschläge, die Quintus nicht hören wollte, während Pomponia ihm ins andere Ohr schrillte und er die Gratwanderung vollbringen mußte, nett zu Pomponias Bruder Atticus zu sein und zugleich Herr im eigenen Haus zu bleiben.
Natürlich bestanden Ciceros Briefe auch jetzt noch zur Hälfte aus Ratschlägen, aber bei den Nerviern brauchten diese Ratschläge nicht befolgt, ja nicht einmal zur Kenntnis genommen zu werden. Quintus hatte ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, an welcher Stelle genau eine Moralpredigt anfing und wo sie aufhörte, so daß er die entsprechenden Seiten einfach übersprang und nur die interessanten Passagen las. Sein großer Bruder war natürlich schrecklich prüde und hatte seit seiner Heirat mit seiner mannhaften Frau Terentia vor über fünfundzwanzig Jahren nicht gewagt, eine andere Frau anzusehen. Quintus mußte deshalb in seiner Nähe ähnlich enthaltsam leben. Aber hier bei den Nerviern kontrollierte niemand, was der kleine Bruder Quintus alles anstellte. Und der kleine Bruder Quintus stellte bei jeder Gelegenheit etwas an. Die belgischen Frauen waren stämmig und konnten einen mit einem Faustschlag niederstrecken, doch kämpften alle um die Aufmerksamkeit des süßen kleinen Kommandanten mit den netten Manieren und der so erfreulich offenen Brieftasche. Die belgischen Frauen waren nach seiner Gattin Pomponia (die einen auch mit einem Schlag niederstrecken konnte) ein Elysium ungetrübten Vergnügens.
Am Tag nachdem Quintus Cicero die Gesandten König Ambiorix’ so rüde weggeschickt hatte, ohne sie zu empfangen, erfaßte ihn eine seltsame Unruhe. Irgend etwas stimmte nicht, er wußte nur nicht, was. Dann spürte er ein Kribbeln in seinem linken Daumen. Er rief Pullo und Vorenus zu sich.
»Wir werden Schwierigkeiten bekommen«, sagte er. »Fragt mich nicht, woher ich das weiß, denn ich weiß es selbst nicht. Laßt uns durchs Lager gehen und überlegen, wie wir die Wälle verstärken können.«
Pullo sah Vorenus an, dann sahen sie beide mit gehörigem Respekt Cicero an.
»Schickt einen Boten zu Vertico, ich muß ihn sprechen.«
Der Bote wurde geschickt, dann begaben sich die drei Männer in Begleitung einiger Zenturionen auf ihren Rundgang durch das Lager, um dessen Verteidigungsbereitschaft mit kritischem Auge zu überprüfen.
»Mehr Türme«, urteilte Pullo. »Sechzig haben wir, aber wir brauchen das Doppelte.«
»Einverstanden. Und die Wälle müssen zehn Fuß höher werden.«
»Sollen wir Erde aufwerfen oder Palisaden aufstellen?« fragte Vorenus.
»Palisaden. Der Boden ist naß und vereist. Mit Palisaden geht es schneller. Wir stocken einfach die Brustwehr zehn Fuß auf. Schicke sofort Männer los, um Bäume zu fällen. Wenn wir angegriffen werden, kommen wir nicht mehr in den Wald, also machen wir das jetzt. Nur fällen und ins Lager schaffen. Zurichten können wir die Stämme hier.«
Ein Zenturio eilte los.
»Wir brauchen auch mehr Pfähle in den Gräben«, sagte Vorenus, »denn tiefer graben können wir nicht.«
»Auf jeden Fall. Wieviel Holzkohle haben wir?«
»Wir haben noch etwas, aber nicht annähernd genug, wenn wir gleich mehrere tausend Spitzen über glühender Asche härten wollen«, sagte Pullo. »Aber die Bäume liefern uns die Äste, die wir brauchen.«
»Wir werden sehen, wieviel Holzkohle uns Vertico geben kann.« Nachdenklich kaute der Lagerkommandant auf seiner Unterlippe. »Belagerungsstangen.«
»Eiche taugt dazu nicht«, meinte Vorenus. »Wir müssen gerade gewachsene Birken oder Eschen finden.«
»Munition für die Geschütze«, sagte Pullo.
»Schick Leute zur Mosa.«
Wieder eilten einige Zenturionen weg.
»Und als letztes«, sagte Pullo, »sollten wir nicht Caesar verständigen?«
Darüber mußte Quintus Cicero erst nachdenken. Dank seines großen Bruders, der Caesar nicht leiden konnte,
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