MoR 05 - Rubikon
sei; die Legionäre sollten die Schiedsrichter sein. Ein Belagerungsturm stand so nahe am Wall, daß er ihn berührte und die Nervier über ihn wie über eine Brücke zu den Verteidigern hinübersprangen. Pullo packte eine Fackel, ließ den Schild, mit dem er sich deckte, sinken, und schleuderte sie auf die Gegner; daraufhin packte auch Vorenus eine Fackel, senkte seinen Schild noch tiefer und schleuderte sie auf den Belagerungsturm. So ging es hin und her, hin und her, bis der Turm selber eine lodernde Fackel war und die Nervier mit brennenden Haaren flohen. Nun nahm Pullo einen Bogen und einen mit Pfeilen gefüllten Köcher zur Hand und zeigte, was er bei den kretischen Bogenschützen gelernt hatte; er legte in einer fließenden Bewegung an und schoß, und jeder Schuß traf. Vorenus tat es ihm gleich, indem er einen Stapel Speere holte und sie mit ähnlicher Geschwindigkeit und Eleganz warf — auch er trafjedesmal ins Ziel. Die beiden Männer blieben vollkommen unverletzt, und als der Angriff verebbte, schüttelten die Legionäre die Köpfe. Die Abstimmung endete mit einem Unentschieden.
»Heute, am dreißigsten Tag, ist ein Wendepunkt«, sagte Quintus Cicero bei Einbruch der Dunkelheit, als die Nervier sich in ungeordneten Haufen zurückzogen.
Er hatte einige Männer zur Beratung einberufen. Außer ihm waren nur Pullo, Vorenus und Vertico anwesend.
»Du meinst, wir siegen?« fragte Pullo erstaunt.
»Ich meine, wir verlieren, Titus Pullo. Der Nervier werden täglich geschickter, und sie haben von irgendwoher römische Ausrüstung bekommen.« Er stöhnte und schlug sich mit der Faust auf den Schenkel. »Ach ihr Götter, irgendwie müssen wir es doch schaffen, eine Botschaft durch ihre Linien zu schmuggeln!« Er sah Vertico an. »Ich bitte niemanden mehr zu gehen, aber jemand muß gehen. Und wir müssen hier und jetzt überlegen, wie wir verhindern können, daß der, den wir schicken, im Fall einer Festnahme und Leibesvisitation überführt wird. Vertico, du bist Nervier. Was tun wir?«
»Ich habe nachgedacht«, sagte Vertico in seinem stockenden Latein. »Zuerst einmal muß es jemand sein, der aussieht wie ein nervischer Krieger. Da draußen sind zwar inzwischen auch Menapier und Condruser, aber ich kann keine Umhänge mit den entsprechenden Mustern beschaffen. Sonst wäre es besser, den Boten als Menapier oder Condruser auszugeben.« Er hielt inne und seufzte. »Wieviel Proviant haben wir nach den Bränden im Lager noch?«
»Genug für sieben oder acht Tage«, sagte Vorenus, »obwohl den Männern so übel ist, daß sie nicht viel essen. Vielleicht also auch zehn Tage.«
Vertico nickte. »Dann machen wir es so. Wir schicken jemand, der als Nervier durchgehen kann, weil er selbst Nervier ist. Ich würde selbst gehen, aber man würde mich sofort erkennen. Einer meiner Leibeigenen ist dazu bereit, ein schlauer Bursche, der nachdenkt, ehe er etwas tut.«
»Alles schön und gut«, brummte Pullo, dessen Gesicht dreckverschmiert und dessen Tunika aus Metallschuppen vom Nacken bis zum Schwertgürtel aufgerissen war. »Das klingt einleuchtend. Aber mir macht vor allem die Leibesvisitation Sorgen. Die letzte Nachricht haben wir dem Boten in den Hintern gesteckt, aber diese Hunde haben sie trotzdem gefunden. Beim Jupiter! Vielleicht kommt dein Mann ja unbehelligt durch, aber wenn sie ihn erwischen, wird er auch durchsucht. Sie werden die Nachricht finden, egal wo sie ist, und wenn nicht, foltern sie ihn.«
»Seht hier«, sagte Vertico und zog einen nervischen Speer heraus, der neben ihm im Boden steckte.
Es war keine römische Waffe, aber der lange, hölzerne Schaft und die große, blattförmige Eisenspitze waren fachmännisch gefertigt. Da die langhaarigen Gallier Farbe und Ornament liebten, war er entsprechend geschmückt. Der Schaft war dort, wo man ihn hielt, mit einem Gewebe in den nervischen Farben Moosgrün und Orange-Braun bedeckt, und an dem Gewebe baumelten an Ösen drei in denselben Farben gefärbte Gänsefedern.
»Ich sehe ja ein, daß die Botschaft aufgeschrieben werden muß. Wenn sie nur aus dem Mund eines nervischen Kriegers kommt, glaubt Caesar ihr vielleicht nicht. Aber schreibe sie in deiner kleinsten Schrift auf das dünnste Papier, das du hast, Quintus Cicero. Solange du schreibst, werden meine Frauen die Umwicklung eines Speers aufdröseln, der gebraucht, aber echt aussieht. Dann wickeln wir den Brief um den Schaft und bedecken ihn mit dem Gewebe.« Vertico zuckte die Schultern. »Etwas
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