Morag und der magische Kristall
Morag wissen. »Und wo ist sie eingesperrt?«
In der Finsternis konnte sie ein schwaches Lächeln erkennen, das um die Ränder von Berties Schnabel spielte.
»Du wirst schon sehen«, sagte er und trieb sie weiter den Tunnel hinunter, bis das bellende Echo von Moiras und Jermys Gezeter immer schwächer wurde und schließlich überhaupt nicht mehr zu hören war.
Kapitel 4
Tief unter der Erde schlängelte der Tunnel sich, wie es schien, meilenweit dahin, weiter und weiter, hinauf und hinab, um eine Biegung nach der anderen, bis Morag ziemlich schwindelig war und ihre Knie zu schmerzen begannen. Es war dunkel und staubig; die Luft hätte auch besser sein können. Die Tunnel waren nicht für große Leute geschaffen, erklärte Bertie ihr, während sie weiter durch die Dunkelheit eilten, sie waren für die kleinen Leute, damit die ihren Geschäften nachgehen konnten, ohne dass die großen Leute – die Menschen – versuchten, sie einzufangen und in Käfige zu stecken. Es gab Tausende unterirdischer Tunnel, offenbarte Bertie ihr, und sie führten überallhin.
»Und wo sind die kleinen Leute jetzt?«, fragte Morag neugierig. Sie sah sich um und versuchte, sich Unmengen kleiner Männer und Frauen vorzustellen, die in den schmalen Tunnel auf und ab liefen. »Sind sie noch hier? Benutzen sie die Tunnel immer noch?«
»Nicht mehr so oft«, antwortete Bertie und rückte seinen kleinen Tornister zurecht, den er sich lässig über die Schultern gehängt hatte. »Sie benutzen die Tunnel nur, wenn es absolut notwendig ist. Sie gehen nicht mehr oft weg – es ist zu gefährlich geworden.«
»Weggehen? Von wo?« Morag war gefesselt. Gab es einen besonderen Ort, an dem kleine Leute lebten?
»Marnoch …«, begann Aldiss aufgeregt.
»Aldiss!«, blaffte Bertie. »Das reicht jetzt. Wir dürfen ihr nicht mehr erzählen. Das wäre einfach nicht richtig.«
Es war nicht nur Aldiss, der angesichts von Berties harschem Tonfall zusammenzuckte. Auch Morag war bestürzt. Sie sah den Vogel an, erschrocken darüber, dass er auf solche Weise gesprochen hatte.
»Warum willst du mir nichts erzählen?«, fragte sie. »Denkst du, man kann mir nicht trauen?« Sie war ein wenig gekränkt. Sie war die vertrauenswürdigste Person, die sie kannte. Sie konnte ein Geheimnis bewahren und hatte noch nie das Vertrauen eines anderen missbraucht.
Bertie blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich zu Morag um.
»Fräulein Morag«, begann er mit ernster Miene. »Es ist nicht so, dass wir dir nicht vertrauen«, sagte er. »Aber wir haben dich gerade erst kennengelernt und schließlich bist du eine von ihnen. Eine von den Großen. Und nach unserer Erfahrung mit großen Leuten kann man ihnen nicht vertrauen. Niemals, nirgendwo und auf keine Weise . Es ist nichts Persönliches, es ist nur …«
»Dass ihr mir nicht vertraut«, beendete Morag seinen Satz, und ihre Stimme klang niedergeschlagen.
Bertie wirkte ein wenig verlegen. »Hm, ja«, sagte er. »Aber du musst verstehen, es liegt nicht daran, wer du bist, es liegt an dem, was du bist … ein Mensch. Wir kennen dich nicht gut genug, um dir irgendetwas zu erzählen. Woher sollen wir wissen, dass du unsere Geheimnisse nicht in die Welt hinausposaunen wirst? Woher sollen wir wissen, dass du den anderen großen Leuten nicht alles erzählen wirst, und sie dann kommen und versuchen, Marn… ich meine, unseren Wohnort zu finden, und dann nichts davon übrig bleiben würde? Verstehst du? Ich versuche, Leute wie mich und Aldiss zu schützen.«
Morag nickte. »Ich verstehe«, sagte sie ein wenig verdrossen, denn sie brannte darauf, Berties Geheimnisse zu erfahren, und es bekümmerte sie, dass er ihr nichts erzählen wollte, aber sie verstand ihn. Wenn er sie in seine Geheimnisse einweihte, konnte das andere gefährden. »Tut mir leid, dass ich gefragt habe.«
»Mir tut es leid, dass ich dir nichts erzählen kann«, sagte Bertie bekümmert. »Du scheinst ein nettes Mädchen zu sein, aber wir werden dich bald verlassen, um mit unserer Mission fortzufahren, und du wirst tun, was immer Menschen so tun.«
Morag erwiderte nichts darauf. Sie lächelte nur ein wenig, obwohl ihr im Grunde keineswegs zum Lächeln zumute war, wenn sie bedachte, dass sie nicht wusste, was sie tun würde, sobald sie den Tunnel verließen. Trotzdem erschien es ihr als das Beste, Bertie ein kleines Lächeln zu schenken. Die Fragen, wo sie hingehen und was sie mit sich anfangen würde, lasteten schwer auf ihr. Aber eines wusste sie mit
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