Morbus Dei: Im Zeichen des Aries: Roman (German Edition)
Wurstberg am Tisch.
„Alles außer dem, was wir versteckt hatten“, fuhr der Alte langsam fort. „Wir dachten, das würde ihnen genügen, aber dem war nicht so.“ Er setzte sich neben seine Frau, die den Kopf hob, und ergriff ihre Hand. Das Gesicht der Alten war nicht nur vom Weinen geschwollen, sondern auch von Blutergüssen übersät.
Erschrocken wechselten Johann und Wolff einen Blick.
„Gestern kamen wieder Soldaten und nahmen Luca, unseren einzigen Enkel, mit. Er habe sich dem Kriegsdienst einzugliedern, haben sie gesagt.“
Wehmütig sah der Alte seine Frau an. „Und dann haben sie mein Weib geschändet, könnt ihr euch das vorstellen? Warum wird man bloß so alt? Um solche Gräuel erleben zu müssen?“
Wolff ergriff die andere Hand des Alten und drückte sie.
„Bitte esst, damit ihr die Kraft habt, all das hinter euch zu lassen“, sagte plötzlich die Frau mit fester Stimme. „Für uns ist das ohnehin viel zu viel.“
Johann griff in seine Geldkatze, aber die Alte fasste seine Hand. „Lass mal, du kannst uns morgen immer noch entlohnen.“
„Aber –“ Johann fehlten die Worte. Er sah in die geröteten Augen der Frau und wusste, dass Widerspruch zwecklos war.
Johann und Wolff begannen zu essen.
„Was führt euch hierher?“, erkundigte sich die Frau.
„Wir suchen mein Weib“, antwortete Johann.
„Ah, die Liebe“, murmelte der Alte. „Es soll ja nichts Wichtigeres im Leben geben, als die Liebe zu finden. Und hat man sie erst gefunden, dann muss man sie hegen und pflegen. Nur so bleibt sie einem über die Jahre erhalten.“
Obwohl ihm bewusst war, dass er genau das Gegenteil getan hatte, nickte Johann. Wären sie nach Leoben einfach weitergezogen, dann wären sie vielleicht bereits in Siebenbürgen und könnten ein ruhiges und rechtschaffenes Leben führen. Er allein trug die Verantwortung für die schrecklichen Konsequenzen –
„Ihr müsst wissen“, fuhr der Alte fort und riss Johann aus seinen Gedanken, „fünfzig Jahre bin ich mit meinem Weib verheiratet, so alt muss man erst einmal werden. Und noch immer bin ich auf der Suche.“
Die Frau tätschelte ihrem Mann die faltige Wange. „Du alter Narr. Außer mir würde dich doch keine andere aushalten.“
Lächelnd blickten sich die beiden an.
Johann spürte, wie wohl ihm der liebevolle Umgang ihrer Gastgeber tat. Sie strahlten einen Einklang aus, den auch er eines Tages zu erreichen hoffte.
„Diese Würste sind die besten, die ich in meinem Leben gegessen hab“, sagte Wolff schmatzend und ohne Rücksicht auf das Thema.
„Ihr könnt gern hier übernachten. Dann haben wir wenigstens das Gefühl, dass jemand über uns wacht“, bot die Alte an. Ihr Mann nickte zustimmend.
Während von draußen immer wieder Kanonendonner zu hören war, verbrachten sie den Rest des Abends schweigend und genossen die stille Gemeinschaft, bis die Kerze am Tisch heruntergebrannt war.
LXIII
Stimmengewirr wogte durch die Kirche. Heinrich, der neben von Freising vorne beim Altar stand, war bemüht, sich Gehör zu verschaffen.
„Hört mir zu!“
Die Stimmen wurden lauter.
„Hört mir zu!“, brüllte er.
Schlagartig wurde es ruhig, alle wandten sich ihm zu.
„Bruder von Freising spricht die Wahrheit. Wir können ihm vertrauen.“
Der Preuße, Hans, Karl, Ludwig und Markus saßen in der vordersten Reihe. Seit sie in der Kirche waren, hatten sie sich vom Schock der ersten Begegnung mit ihnen langsam erholt. Die Ausgestoßenen, so stumm und bedrohlich in der Dunkelheit des Dorfes, entpuppten sich hier, im Inneren der Kirche, als Menschen, die an einer Krankheit litten. Die dachten und sprachen. Und die ihnen kein Wort glaubten.
„Sie wollen uns in eine Falle locken“, rief der alte Melchior aufgebracht. Er zeigt auf von Freising. „Und du – warum sollten wir ausgerechnet dir glauben? Du und die Deinen habt uns im Stich gelassen! Du bist doch immer nur zu uns gekommen, um zu sehen, ob wir noch nicht verreckt sind!“
„Das ist nicht wahr, denn warum wäre ich sonst zurückgekommen?“, entgegnete dieser ruhig.
„Du könntest auch mit diesem – diesem Sovino zusammenarbeiten!“
Jetzt wurde auch von Freising wütend. „Antonio Sovino ist ein Ungeheuer, das keine Gnade kennt! Ich dagegen bin hier, um euch zu helfen.“
„Das sagst du. Ich sage, du bist einer von ihnen“, brüllte Melchior.
Sophie saß neben Anna und hielt ihre Hand. Etwas an der Art des Jesuiten hatte sie davon überzeugt, dass er die Wahrheit sprach.
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