Morbus Dei: Im Zeichen des Aries: Roman (German Edition)
strich sich über den Stoppelbart. Einen Augenblick spürte er den Anflug von Zweifeln, aber dann fasste er einen Entschluss: „Leutnant Wolff, seid Ihr bereit, im Auftrag Gottes ein Werk zu verrichten, dessen Wichtigkeit nicht nur von geistlichem Belange ist, sondern welches auch im weltlichen Sinne die allerhöchste Relevanz für Eure geliebte Kaiserstadt hat?“
Wolff warf Tepser einen Blick zu, doch dieser verzog keine Miene. Wolff nickte.
„Und seid Ihr bereit, dies auch auf die Bibel zu schwören?“
„Jawohl.“
Sovino machte ein zufriedenes Gesicht.
„Nur wüsste ich gern vorher“, fügte Wolff mit Bestimmtheit in der Stimme hinzu, „was genau ich denn zu schwören habe.“
Tepser schlug mit flacher Hand auf den Tisch. „Was erdreistet er sich? Er hat Befehle auszuführen, sonst –“
„Aber, aber, Herr Bürgermeister“, wiegelte Sovino ab, „ich habe lieber einen treuen Mann, der mitdenkt, als einen einfältigen Befehlsempfänger, der bei der kleinsten Schwierigkeit an seine geistigen Grenzen stößt.“
Wolff sah Sovino scharf an. Er kannte diese Sorte von Männern. Unter dem Deckmantel des Wohlwollens schritten sie über Leichen.
„Ein französischer Geheimgesandter namens François Antoine Gamelin hat gefährlich Erkrankte aus dem Quarantäneviertel geschleust, um sie zu seinem Vorteil einzusetzen, und zu dem des Französischen Reiches.“ Sovinos Stimme wurde leiser. „Lasst mich offen sprechen: Es ist kein Geheimnis, dass der Heilige Vater König Ludwig XIV. unterstützt, weil dieser seinem Enkel Philipp V. von Bourbon auf den spanischen Thron geholfen hat. Aber der Schaden, den das Gelingen von Gamelins Plan dem Römischen Reich zufügen könnte, ist unabsehbar. Und dies kann auch der Heilige Vater nicht dulden.“
Verständnis heuchelnd nickte Tepser, Wolffs Gesicht blieb regungslos.
Sovino fuhr fort: „Gamelin reitet mit einer Handvoll Söldnern südwärts. Holt ihn ein und erschlagt ihn und seine – Fracht.“
„Den Franzosen jederzeit, aber haben wir nicht bereits genug Kranke von ihrem Leiden befreit ?“ Wolffs Tonfall zeigte deutlich, was er von der Liquidierung des Quarantäneviertels und dem, was mit den Kranken geschehen war, hielt.
„Fürwahr, aber wer weiß, wen sie noch anstecken könnten.“ Sovino ging zum Fenster und blickte hinaus. „Es wäre doch ein Jammer, wenn wir jedes Freudenhaus in Wien, welche ja bekanntlich Nistplätze der liederlichsten Krankheiten sind, schließen lassen müssten. Präventiv, versteht sich.“
Wolff verstand. Er grinste zynisch und salutierte sowohl vor dem Bürgermeister als auch vor Sovino.
„Dann bereitet einen Trupp von gut einem Dutzend vertrauenswürdiger Männer vor, die mit Euch reiten. Alles Weitere erfahrt Ihr morgen früh, bevor Ihr aufbrecht“, fügte Sovino hinzu, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden.
Damit war Wolff entlassen, er schritt zur Tür hinaus und schloss sie bis auf einen Spaltbreit hinter sich. Er ging jedoch nicht den Korridor entlang, sondern blieb stehen. Da keine Garde in Sicht war, beugte er sich zur Tür und lauschte den Stimmen im Salon.
„Darf ich fragen, weshalb Ihr die Sache nicht selbst bereinigt?“, fragte Tepser Sovino.
„Es geht Euch zwar nichts an, aber mein Auftrag ist von anderer Natur“, antwortete Sovino in leicht genervtem Ton.
Der Visitator fuhr fort, und was Wolff jetzt hörte, war beunruhigend und bestätigte das Bild, das er sich in der kurzen Zeit von Sovino gemacht hatte.
Plötzlich hallten Schritte durch den Korridor. Wolff entfernte sich blitzartig von der Tür und ging weiter. Zwei Männer der Schwarzen Garde kamen ihm entgegen, er ignorierte ihren Gruß und ging schnellen Schrittes hinaus.
XI
Gamelin schreckte aus seinem Dämmerschlaf. Unvermittelt hatte seine Kutsche angehalten, er hörte die Rufe seiner Männer und das Blöken von Schafen.
Er öffnete die Tür und stieg die zwei schmiedeeisernen Stufen zur Erde hinab. Das Sonnenlicht brannte in seinen Augen, er brauchte einen Moment, um seine Umgebung wahrnehmen zu können: Vor dem Tross versperrte eine Herde von gut drei Dutzend Schafen die Straße und der Bauer hatte es sichtlich nicht eilig, sein Vieh weiterzutreiben.
Einer der Söldner stieg vom Pferd und schritt auf den Bauern zu, seine Waffe im Anschlag. Wie auf Kommando begann der Bauer, hektisch auf seine Tiere einzuschreien und sie mit Schlägen aufs Hinterteil in Bewegung zu bringen.
Gamelin sah sich um. Aus den umliegenden Hütten kamen
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