Morbus Dei: Im Zeichen des Aries: Roman (German Edition)
fern. Ich wollte zwar Wien weiter hinter uns lassen, aber du hast vermutlich recht. Und ich weiß auch schon, an wen wir uns wenden können.“ Der Graf verließ den Aufbau und ging zu seinem Steuermann ans Heck.
Johann atmete tief durch und sah sich um. Ihm gegenüber hockte Markus Fischart, ein Bär von einem Mann mit dem unbedarften Gesichtsausdruck eines Kindes. Seit Johann an Bord gekommen war, kaute er auf einem Stück Speckschwarte und hatte noch kein Wort gesprochen.
Hans und Karl saßen abseits und blickten schweigend auf die Donau. Sie hatten kaum ein Wort verloren, seitdem sie sich und den Preußen an Bord gerettet und damit nicht nur ihre Anstellung als Rumorsoldaten, sondern auch all ihren Besitz und ihr Zuhause zurückgelassen hatten.
Victoria Annabelle, die junge Tochter des Grafen, kauerte zwischen Kisten und schlief. Sie war sich der Tragweite ihrer Flucht wohl nicht bewusst, mutmaßte Johann. Sein Blick glitt von dem schlafenden Mädchen auf den Fluss, in dem sich die Sonnenstrahlen brachen. Johann blinzelte, schloss die Augen.
Elisabeth …
Er dachte an ihr engelsgleiches Gesicht und wie er es zum ersten Mal gesehen hatte, damals im Dorf, als er im Fieber lag und sie ihn gesund pflegte. An ihr Lachen in den kurzen Momenten des Glücks. An ihre Hingabe, als sie sich geliebt hatten. An ihre Entschlossenheit, als er und der Preuße schon aufgegeben hatten.
Und dann sah er vor sich, wie sie von den Soldaten vom Ufer weggezerrt worden war, vor wenigen Augenblicken, oder waren es bereits Stunden? Ihn überkam wieder die Ohnmacht, die er gefühlt hatte, als er sie in den Händen der Soldaten gesehen hatte, dann blinde Wut – wenn er gekonnt hätte, wäre er von der Zille gesprungen, durch die Donau geschwommen und hätte Wien allein im Sturm genommen, um Elisabeth wieder in die Arme zu schließen.
Johann atmete tief durch und setzte sich neben den Preußen. Er fasste dessen Arm und schloss die Augen.
Wie hatte es so weit kommen können? Wie hatte das alles begonnen? Vielleicht mit dem Komplott, das er mit dem Preußen und anderen Kameraden damals an der Front geschmiedet hatte? Aber sie hatten keine andere Wahl gehabt, ihre Offiziere hatten die Vernichtung eines ganzen Landstrichs und seiner Bevölkerung geplant, das mussten sie einfach verhindern. Und alles wäre geglückt, wäre nicht einer der Offiziere entkommen.
Von Pranckh.
Und nach dem Komplott – die Hatz auf die Meuterer, die Trennung von seinem Kameraden, die Flucht und die Festnahme durch die Franzosen. Die wochenlange Folter durch Generalleutnant François Antoine Gamelin.
Schließlich die erneute Flucht, die ihn in jenes einsame Tal in den Tiroler Bergen geführt hatte, in dem er, verwundet und geschwächt, dem Tod so nahe gewesen war wie niemals zuvor. Er erinnerte sich an die Lichter im Schneesturm, an das Dorf. Daran, wie er es mit letzter Kraft erreicht hatte und auf den Stufen vor dem Bauernhaus niedergestürzt war. Und während ihn der Schnee dort langsam zugedeckt hatte, war ihm der Tod wie ein Erlöser vorgekommen, wie ein Steuermann, der ihn nach den Jahren der Flucht in einen sicheren Hafen bringen würde.
Doch dann war Elisabeth gekommen. Sie hatte ihn gesund gepflegt und seinem Leben wieder einen Sinn gegeben.
Elisabeth …
Bilder blitzen vor Johanns geistigem Auge auf und verblassten wieder.
Die Tyrannei von Elisabeths Vater, Johanns aufkeimende Liebe zu ihr …
Bannzeichen auf den Häusern – gegen die dunklen Wälder und jene, die in ihnen hausten.
Die Ruine im Licht des Mondes .
Gestalten in Kutten, totenblasse Gesichter mit schwarzen, pulsierenden Adern und schartigen Zähnen .
Elisabeths Großvater, der ihnen das schreckliche Geheimnis des Dorfes offenbarte .
Der Einmarsch der bayerischen Soldaten und der wahnwitzige Strafzug gegen die Ausgestoßenen.
Albin in gefrorener Leichenstarre, zwischen den Bäumen des verwachsenen Waldes aufgeknüpft.
Schneller und schneller kamen und gingen die Bilder, als würden die Seiten eines Buches von immer stärkerem Wind durchgeblättert werden.
Das brennende Dorf – der Tod des Großvaters – die gefälschten Papiere in Leoben – Wien und das Wiedersehen mit dem Preußen.
Und dann die Dunkelheit.
Die Krankheit der Ausgestoßenen, die sich in Wien ausbreitete – die Schrecken des Quarantäneviertels – die verzweifelte Flucht, der Tod von Pranckhs und –
In den letzten Tagen hatten sie alles riskiert und beinahe alles verloren.
War es das alles wert
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