Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
Bier getrunken und weitergefeiert. Dabei hatten alle sich gegenseitig kopfschüttelnd versichert, dass man selbst nie in den Genuss kommen würde, in diese Gaststätte einzukehren. Es war einfach alles zu edel, zu teuer, zu exklusiv. Es handelte sich eindeutig um einen Aufenthaltsort für Menschen mit einer fetten Brieftasche, für betuchte Touristen.
Und da arbeitete Anita nun. Auch wenn es mir vorkam, als sei sie mir dadurch noch mehr entrückt, als sie schon vorher war, sollte auch das mich nicht von ihr abhalten, da war ich mir sicher.
Am nächsten Abend gab ich mir besondere Mühe, mich nach der Feldarbeit präsentabel zu machen. Ich schrubbte den Staub unter der Dusche gründlich von meinem Körper ab, wusch meine Haare, rasierte mich, putze meine Fingernägel und benutzte zum ersten Mal seit meiner Gomerazeit ein teures Rasierwasser. Ich schlüpfte in eine frische Jeans. Dann zog ich ein weißes Hemd aus dem Schrank, das immer noch in exakt denselben Falten lag, in denen ich es damals zornig und unglücklich in meinen Koffer geworfen hatte. Ich schüttelte es aus und zog es mir über. Es roch noch ganz schwach nach dem Waschmittel, dass meine Mutter benutzte. Sie hatte damals meine Hemden für mich gewaschen und gebügelt.
Eigentlich wollte ich es nicht tragen. Der Typ, der geschniegelte weiße Hemden trug, existierte nicht mehr. Andererseits sah ich, als ich einen letzten kritischen Blick in den Spiegel warf, bevor ich mich auf den Weg zum Mirador El Santo machte, dass das Hemd mir nicht übel stand. In Deutschland war ich meistens blass gewesen. Nun hob sich mein gesundes, braungebranntes Gesicht besonders gut gegen das blendend-weiße Hemd ab.
Gut so. Anita sollte sich ruhig ein wenig nach mir verzehren, dachte ich.
Auch wenn ich einen Horror vor dem gehobenen Ambiente des neuen Restaurants hatte, (genau wie weiße Hemden, waren schicki-micki Lokale so gar nicht mehr meine Welt), so war die Lage des „ Acueducto” nicht ungünstig.
Ich konnte meinen Wagen einfach stehen lassen, und unter zügigem Ausschreiten das Restaurant in weniger als fünfzehn Minuten erreichen. Kaum hatte ich die Carretera General Valle Gran Rey erreicht, die Hauptstraße, die das Valle mit dem Rest der Insel verbindet, da hielt ein Auto neben mir. Zwei Frauen in einem Mietwagen kurbelten das Fenster herunter und fragten mich, ob sie mich ein Stückchen mitnehmen sollten. Es waren unverkennbar deutsche Touristinnen, ziemlich flippig und vergnügt, etwa in meinem Alter.
Ich bedankte mich, aber lehnte ab. Sie machten deutlich enttäuschte Gesichter und fuhren weiter.
Hm, dachte ich mir, vielleicht sollte ich doch das Hemd häufiger aus dem Schrank holen.
Die kleine Gegebenheit tat mir gut. Die positive Rückmeldung über mein Aussehen gab meinem Selbstbewusstsein genau den Kick, den ich brauchte, als ich vor dem imposanten Eingang des Luxusrestaurants stand, und es galt hineinzugehen.
Man erreichte den Eingang, indem man einige Stufen von der Terrasse hinabstieg. Eine Glastür öffnete sich wie von Geisterhand und glitt hinter mir wieder zu. Ich stand auf einem polierten schwarzen Marmorboden. Die Deckenleuchten spiegelten sich auf seiner Fläche. Vom Gastraum hörte man das diskrete Klappern von Besteck auf Geschirr und leise Barockmusik, vermutlich Vivaldi.
Ein Kellner im akkuraten Anzug empfing mich und geleitete mich in den Gastraum. Auf dem Weg dorthin, sah ich ihn von der Seite an. Ich hätte schwören können, dass es Manuel war, der vor kurzem noch im Supermarkt in Borbalan an der Kasse gesessen hatte, aber vielleicht irrte ich mich auch.
„Ein Tisch für wieviele Personen?“, fragte er mich auf Deutsch, interessanterweise, ohne dass ich mich überhaupt als Deutscher zu erkennen gegeben hatte. Heimlich dachte ich mir, dass dies bezüglich des üblichen Klientels hier tief blicken ließ.
„Nur für mich, bitte.“
Ich merkte, dass er leicht verwundert war, aber er führte mich zu einem kleinen Tisch am Fenster, der für zwei Personen gedeckt war. Flink entfernte er das überzählige Gedeck, zündete die Kerze an und eilte davon, um mir die Speisekarte zu holen.
Eigentlich wäre für jeden Gast an meiner Stelle das der Moment, wo er sich dem Fenster zuwenden müsste, um sich voll und ganz dem Genuss des herrlichen Blicks hinunter nach Taguluche und hinaus aufs weite Meer zu widmen, aber meine Augen suchten stattdessen das Lokal nach Anita ab.
Das war gar nicht so einfach, denn der Raum war erstaunlich gut
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