Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
stolz auf mein fließendes Spanisch).
“Und außerdem müssen Sie sich einen Moment gedulden. Sie sehen, dass ich mitten in einer Beratung bin. Die Señora hat mich gebeten, ihr den Beipackzettel dieses Medikamentes vorzulesen.”
Ich blickte auf den besagten Zettel. Es war ein sehr langer Zettel.
„Das geht leider nicht“, sagte ich hektisch, „es handelt sich um einen Notfall.“
„So. Ein Notfall also. Einen Augenblick.“
Die Apothekerin neigte sich wieder zu der kleinen, alten Frau herab und sprach sanft und freundlich in tadellosem Spanisch mit ihr. Dann geleitete sie sie fürsorglich zu einem Stuhl und setzte sie dort hin. Sie redete noch eine Weile beruhigend auf sie ein.
Es war zum Aus-der-Haut-fahren! Fehlte nur noch, dass sie dem alten Weiblein noch ein Glas Wasser bringt, dachte ich.
Und genau das tat die Apothekerin, denn sie kehrte mir erst einmal den Rücken zu und verschwand in die hinteren Räumlichkeiten.
„Könnten Sie sich bitte, bitte, meines Problems annehmen?“, schrie ich nun fast, „Es ist äußerst dringend.“
Sie tauchte mit dem Glas auf, brachte es der Frau, stellte sich wieder hinter die Theke, verschränkte die Arme vor ihrem weißen Kittel und fixierte mich mit ihren unergründlichen grauen Augen.
„Die Señora ist alt und ehrwürdig. Sie verdient es, mit Respekt behandelt zu werden. Ich denke, dass Sie dafür Verständnis haben. Also dann. Wo drückt der Schuh? Etwa die Schramme an der Stirn? Sie sehen für meine Begriffe nicht sonderlich notleidend aus.“
Ich fasste unwillkürlich an die Beule, die von der Schnalle von Carlos' Sporttasche stammte. Die hatte ich schon längst vergessen.
„Unsinn. Es geht um einen ebenso ehrwürdigen alten Mann, der einen Hexenschuss hat. Die Schmerzen bringen ihn fast um“, sagte ich kämpferisch.
„Haben Sie ein Rezept vom Arzt?“
„Nein, aber ich habe die Medikamente, die der Mann bekommen soll, hier notiert.“
Ich fischte den Zettel aus meiner Brusttasche, faltete ihn auseinander und strich ihn glatt, bevor ich ihn auf die Theke legte. Dabei sah ich, dass ich von der Feldarbeit dunkle Ränder unter den Fingernägeln hatte und zog meine Hände schnell zurück.
Die Apothekerin las mein Gekritzel. Sofort hob sie ihre Augenbrauen, übrigens zwei sehr klare, schön-geschwungene Augenbrauen.
„Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?“, sagte sie in ungläubigem Tonfall, „Sie wissen doch sicher, dass ich Ihnen diese Präparate nicht einfach so aushändigen darf.“
„Doch, das müssen Sie sogar“, sagte ich jetzt barsch. „Ich bin nämlich Arzt.“
Jetzt lachte die Gestrenge. Dabei bildeten sich zwei Grübchen in ihren Wangen. Wenn diese Frau nicht so kühl und hochnäsig rüberkäme, könnte man sie direkt mögen, dachte ich.
„Sie? Arzt?“
Sie legte den Kopf auf die Seite und betrachtete mich amüsiert.
Ich sah an mir herunter und sah mein verschwitztes T-Shirt, meine schmutzigen Overalls und meine staubigen Schuhe.
Verstehen konnte man ihre Skepsis schon, dachte ich widerwillig.
Also griff ich in meine Gesäßtasche und holte meine Brieftasche heraus. Es dauerte eine Weile, bis ich das fand, was ich mit bebenden Fingern suchte. Wie lange trug ich dieses Dokument schon mit mir herum, ohne dass es das Dunkel meiner Tasche verlassen hatte? Als ich es herauszog, kam es mir vor, wie ein fremder Gegenstand, der eigentlich einem Fremden gehörte. Und doch war er meiner.
Mein Arztausweis.
Ich hielt ihn der Apothekerin vor die Nase. Sie nahm ihn entgegen und warf einen prüfenden Blick darauf. Jetzt runzelte sie ihre Stirn und streifte eine Locke beiseite. Sie hatte überhaupt einen beeindruckenden Lockenkopf, den sie mit einem Haarband gebändigt hatte.
Krause Haare, krauser Sinn.
Ich musste an den alten Spruch aus meiner Kindheit denken. Ob diese Aura von Disziplin, die sie umwehte, wirklich ihre wahre Persönlichkeit spiegelte?
„Tja, der sieht echt aus. Ist er dann wohl auch. Und Sie sind tatsächlich der besagte Jan Westhoff. Das Foto passt. Obwohl Sie da schon etwas gepflegter aussahen“, schmunzelte sie.
Sie reichte mir den Ausweis zurück, schnappte den Zettel und verschwand in das Medikamentenlager.
Ich atmete erleichtert auf. Anscheinend war ihr nichts aufgefallen.
Sie kehrte zurück, legte die Päckchen auf die Theke.
Aber ich hatte mich zu früh gefreut.
Nachdenklich sagte sie: „Sie sind der Jan Westhoff, nicht wahr?“
Bitter erwiderte ich: „Ja. Ich bin der Jan Westhoff.“
Dann knallte
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