Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
ich ihr das Geld für die Medikamente hin, steckte das Wechselgeld ein und verließ wortlos die Apotheke.
Als ich wieder in meinem Laster saß, klammerte ich mich mit eisernem Griff an mein Lenkrad, starrte einen Moment auf den Asphalt vor der Kühlerhaube und wartete, bis mein aufsteigender Zorn verebbte.
Ruhig Blut, Jan, sagte ich mir selbst. Die Apothekerin meinte es nicht böse. Das ging nicht gegen dich. Ihre Frage war naheliegend. Du hättest sie an ihrer Stelle auch gefragt.
Doch als ich dann die Serpentinen hoch nach Las Hayas fuhr, brodelte der ganze Mist wieder hoch, all das, das ich seit Jahren verdrängt und weggedrückt hatte.
Der Morgen, als ich zu der Operation antrat. Ich war schlaftrunken und übernächtigt gewesen. Die besagte OP war schon längerfristig vorbereitet gewesen, die Patientin perfekt darauf eingestellt, der Termin unaufschiebbar. Doch die Nacht zuvor hatte man mich zu einer Notoperation herbeigeholt. Es waren Pfingstferien und das Krankenhaus war unterbesetzt. Die Nachtoperation war lang und anspruchsvoll gewesen. Als am Morgen danach die OP der Patientin begann, merkte ich, wie meine Hände zitterten und meine Gedanken drohten, abzudriften.
Und dann der schreckliche Moment, als ich merkte, dass mein Skalpell abglitt und einen tiefen Schnitt verursachte, und zwar an einer Stelle, die unweigerlich zu schlimmen inneren Blutungen führen musste. Gott sei Dank starb die Patientin nicht, aber die Rekonvaleszenz war lang und heikel.
Wäre die Patientin eine Frau aus dem Volk gewesen, eine Otto-Normalverbraucherin, hätte es zwar Ärger gegeben, schon klar. Aber nach einer Weile wäre Gras darüber gewachsen. Wir sind alle nur Menschen. Wir machen alle Fehler. Selbst Ärzte tun das.
Aber bei dieser Dame handelte es sich um eine angesehene Schauspielerin, um die Besetzung der Hauptrolle einer beliebten Soap im Privatfernsehen. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Die Diva scheute nicht davor zurück, die Sache enorm aufzubauschen. In meinen finstersten Augenblicken meinte ich sogar, dass sie es bewusst wegen der zusätzlichen Publicity getan hatte.
Blitzschnell füllte der „Fall“ ganze Seiten in der Regenbogenpresse. Der „Arzt W aus dem Klinikum H“ war in aller Munde. Reporter tauchten vor meiner Wohnung auf oder belagerten mein Elternhaus in Münster. Eine Zeitung mit vier Buchstaben im Titel veröffentlichte ein Foto von mir, weiß der Henker, wo sie es her hatten.
Mein Chefarzt nahm mich beiseite und teilte mir mit, dass ich auf weiteres keine Operationen mehr durchführen würde.
Und ständig und immer war ich von der heißen Wut erfüllt, die auf einem tiefen Gefühl von Ungerechtigkeit wurzelte, die Ungerechtigkeit eines Systems, das seine Ärzte bis zum Zerbrechen forderte und sie dann ausstieß und verachtete, weil sie genau aus diesem Grund versagten.
Von diesem System wollte ich kein Teil mehr sein.
Und so kam es, dass ich meine Sachen packte, den Staub von meinen Füßen schüttelte und auf Gomera meine neue Heimat fand.
Und es war eine schöne, friedliche Heimat geworden.
Zwar erwischte ich mich noch immer dabei, dass ich, wenn ein paar deutsche Wanderer mit ihren Trekkingstöcken an meinen Weinterrassen vorbeiklapperten, meinen Kragen hochzog, oder meinen Hut tief ins Gesicht drückte und ihnen den Rücken zudrehte. Aber eigentlich war das nur noch ein Reflex und gänzlich überflüssig. Seit ich auf Gomera lebte, war ich ein andrer Mensch. Mit dem Jan Westhoff, der in Münster Medizin studiert hatte und später am Klinikum in „H“ gearbeitet hatte, hatte der zufriedene, geerdete Weinbauer nicht viel gemein.
Ich eilte in Pedros Haus hinein. Er lag ächzend in seinem Bett. Ich setzte ihm die Spritze in den Gluteus Maximus und es dauerte kaum eine Minute, bis ein erleichtertes Lächeln über sein Gesicht kroch.
„Chef, Danke“. Er drückte meine Hand.
Ich gab Inez genaue Anweisungen, in welcher Dosis und in welchem zeitlichen Abstand sie die Schmerztabletten verabreichen sollte, die ich für Pedro daließ. Sie fiel mir um den Hals und dankte mir überschwänglich. Als ich gehen wollte, steckte sie mir ein Stück Ziegenkäse aus eigener Herstellung zu.
Ich sagte ihr, dass ich morgen wieder vorbeischauen wollte und fuhr zurück zu meinem verwaisten Weingarten. Während ich dort meine Weinreben beschnitt, ausputzte und hochband, kam mir unwillkürlich der Gedanke, dass Arzt doch auch ein schöner Beruf sei, und dass er mir einmal sehr viel Freude
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