Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
dumm darstellen? Irritiert sagte ich: „Ich bin schon über dreißig und halte mich eigentlich nicht für sehr jung. Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.“
Er ließ sich jedoch nicht beirren. „Sie machen auf mich einen äußerst gesunden und vitalen Eindruck. Vermutlich sind Sie nicht oft krank.“
„Gott sei Dank nicht“, sagte ich, „aber ich lebe auch gesund. Ich arbeite viel körperlich, ich trinke und rauche nicht und ich ernähre mich vernünftig.“
Der Pfarrer lächelte, als hätte ich ihn mit mehr Information bombardiert, als er eigentlich haben wollte.
Dann sagte er: „Und Sie sind natürlich davon überzeugt, dass diese Gesundheit Ihnen treu bleiben wird, sozusagen bis zum Tod.“
Ich dachte an Pedro und seinen grässlichen Hexenschuss. Ich dachte an meinen Vater, der einen Herzschrittmacher hatte und meine Mutter, der man eine künstliche Hüfte eingesetzt hatte.
„Natürlich nicht“, sagte ich, „aber auch das gehört zum Leben dazu. Da muss man durch.“
Der Pfarrer seufzte. „Man merkt, junger Mann, dass Sie noch viel lernen und erfahren müssen, leider auch unangenehme Dinge.“
Ich spürte, wie der Ärger in mir hochstieg. Dafür war ich nicht hierher gekommen, dass der Padre mich anpredigte. Im Moment hörte er sich gefährlich wie mein Vater an, der mich mit der exakten Wortwahl früher genervt hatte.
Er merkte, wie meine Stimmung umschlug, und hielt eine Hand beschwichtigend hoch.
„Ich möchte nicht überheblich wirken, keinesfalls, aber mir scheint es oft eher so, als wären die jüngeren Menschen gerade in der Frage der Sterbehilfe diejenigen, die wirklich überheblich sind.“
Ich wollte ihn unterbrechen, aber er redete einfach weiter: „denn die Jugend weiß nicht, wie entsetzlich und quälend manche Erkrankungen sein können. Gut, ich kenne auch junge Menschen, Kinder, die auch schwere Krankheiten haben, aber meistens stecken sie voll so viel Energie und Lebenswillen, dass sie sie ganz anders bewältigen. Aber ein alter, müder Mensch, der weiß, dass alle Schmerzen die noch auf ihn zukommen werden, unerträglich, sinnlos und qualvoll sein werden – wer will so einen Menschen verurteilen, wenn er sagt, dass er dem ein Ende machen will?“
Ich warf mich auf meinem Stuhl zurück und sah den Pfarrer entgeistert an.
„Und das sagen Sie ?“, fragte ich, „ausgerechnet Sie als katholischer Geistlicher? Das will nicht in meinen Kopf herein.“
„Bloß weil man katholischer Geistlicher ist, bedeutet das nicht, dass man sein Hirn ganz ausschalten muss und nicht auch eine eigene Meinung haben darf“, sagte der Pfarrer ruhig und selbstbewusst. „Sie würden sich wundern, wie viele von meinen Kollegen genauso denken. Schließlich schweben wir Geistlichen nicht in einer paradiesischen Ebene, sondern wir gehen in die Häuser, betreuen die Kranken und sehen das ganze Elend dieser Welt hautnah.“
Ich dachte nach. Aha, So war das also. Anscheinend nahm man die Aktivitäten im Acueducto schon wahr, drehte ihnen aber bewusst ein blindes Auge zu.
Der Padre sprach weiter: „Im Acueducto gibt man sich große Mühe, den schwer erkrankten Menschen ein wunderschönes und berührendes Ende zu bereiten. Sie sind meistens im Kreise ihrer Lieben. Sie essen mit ihnen ein köstliches Mahl, das alle Superlative sprengt. Sie befinden sich zu ihrem Todeszeitpunkt an einem der schönsten Orte auf der ganzen Welt. Wer will die Menschen verdammen, die ihnen beim Übergang in das andere, ewige Leben so liebevoll zur Seite stehen?“
Doch, dachte ich bitter, wenn dabei auch andere Menschen hoppsgehen, die damit nichts zu tun haben. Aber ich sprach es nicht laut aus, denn ich war mir noch nicht sicher, ob meine Theorie bezüglich Anitas Tod stimmte.
Doch ein anderer Einwand fiel mir schon ein. „Finden Sie es nicht seltsam, wenn aus der Sterbehilfe eine Art Industrie gemacht wird und die Betreiber des Acueducto sich damit bereichern?“
Der alte Mann zuckte mit den Schultern. „Warum? Die Kranken bekommen doch einen hervorragenden Service. Ich möchte nicht wissen, was dort allein ein aufwändig zubereitetes Luxusessen für eine größere Familiengruppe kostet. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass ich mir das nicht leisten könnte.“
Meine grundkatholische, westfälische Seele schlug Alarm.
„Herr Pfarrer, so weit ich informiert bin, gilt Selbstmord immer noch als Sünde. Sind Sie denn bereit, die 'Patienten' aus dem Acueducto mit allen kirchlichen Segnungen zu
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