Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
Mittag war. Ich wollte dort mit Isabella hinaufsteigen, bis Gerian und dann weiter nach La Dama.
Das war schon eine gewaltige Tour, die vor uns lag. Ich hoffte, dass Isabella ihr gewachsen war. Wir hätten natürlich auch einfach nach Chipude fahren und die Straße entlang nach La Dama wandern können, aber ich hasste es, auf Asphalt zu wandern. Wenn eine Wanderung doch einmal ein Stück Straße einbezog, war ich schon früher immer ärgerlich und frustriert gewesen. Das Erlebnis wollte ich mir auf jeden Fall ersparen.
Wir hatten uns vor der Apotheke verabredet.
Als ich dort ankam, war ich mir sicher, dass ich noch etwas warten musste. Die einzige Person weit und breit war eine schlanke, drahtig-aussehende Frau in einer kurzen Hose, die zwei sehr braungebrannte Beine zeigte, und einer weißen, luftigem Bluse, deren untere Zipfel sie zu einem losen Konten verschlungen hatte. Auf dem Kopf trug sie eine weiche Wandermütze, unter der ein paar dunkle Haare hervor kringelten.
Doch als die Frau sich nach meinem Wagen umdrehte, erkannte ich, dass es niemand anderes war als Isabella. Bis jetzt hatte ich sie immer nur in ihrem weiten Kittel gesehen. So konnte ich auf einmal erkennen, dass sie eine fantastische, ziemlich gut durchtrainierte Figur besaß.
Ihr Gesicht strahlte, als sie mich sah. Ich dachte mir, dass es doch nett sei, dass Isabella und ich über so kurze Zeit schon so richtig gute Kumpels geworden waren. Vielleicht lag es daran, dass wir beide aus der gleichen Ecke Deutschlands stammten und schließlich auch an derselben Uni studiert hatten. Irgendwie war mir ihre Art angenehm und vertraut.
Auch wenn unsere Wanderung aufgrund von düsteren und traurigen Bewandtnissen eingefädelt worden war, freute ich mich, dass ich dabei nette Gesellschaft haben würde.
Isabella zog die Beifahrertür auf und ließ sich auf den Sitz fallen.
„So“, sagte sie frisch und munter, „wo fahren wir hin? Von wo aus willst du unsere Tour starten?“
„Ich dachte, wir könnten an der Ermita de los Reyes den Hang heraufsteigen und dann über Gerian weiter.“
Aber Isabella sah mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.
„Bist du verrückt? Weißt du wie lange wir da unterwegs wären? Das dauert mindestens neun Stunden!“
Aha, hier hatte jemand anscheinend mehr Wandererfahrung als ich, soviel war klar.
Ich zuckte mit den Schultern. „Schlag vor, wie wir es sonst machen sollten.“
„Also, es gibt zwei Möglichkeiten: entweder wir fahren nach Chipude und gehen an der Straße entlang“, (hier schnitt ich eine Grimasse), „oder wir wandern am Meer entlang bis zur Schweinebucht und von dort über die Berge – ist aber auch ne ganz schöne Tour und außerdem riskieren wir, uns mit den Hippies in der Schweinebucht anzulegen. Manche Leute meinen, die können regelrecht aggressiv werden.“
Mm. Das klang alles nicht so toll. Irgendwie war meine Vorfreude auf die Tour schon verweht.
„Oder...“, sagte Isabella jetzt.
„Oder was?“
„Oder wir wählen Plan D.“
„Der wäre?“
„Wir lassen das Auto am Hafen stehen und fahren mit meinem kleinen Motorboot so nah an La Dama heran, wie wir es tun können, ohne aufzufallen.“
„Wie, du hast ein Motorboot?“
„Ja, schon seit Urzeiten. Es gehörte mal meinem Großvater. Der ist damit noch zum Fischen herausgefahren.“
Ich dachte nach. Dann sagte ich: „Das ist natürlich die faule Version. So kommen wir gar nicht zu einer nennenswerten Wanderung.“
Isabella warf ihre Hände hoch, um mir zu bedeuten, dass die Wahl bei mir läge.
„Gut“, sagte ich, „aber nur unter einer Bedingung.“
„Die wäre?“
„Dass wir das mit dem Wandern demnächst einmal nachholen.“
„Das passt mir wunderbar“, lächelte Isabella.
Wir fuhren das kleine Stück nach Vueltas hinunter und ließen das Auto dort stehen.
Isabella führte mich den Hafen entlang zu einem Steg, an dem ein wirklich sehr kleines und sehr altes Boot angebunden war.
Ich sah die Nussschale misstrauisch an, dann sagte ich: „Ich glaube, ich habe es mir gerade doch noch anders überlegt.“
Aber Isabella lachte ihr Grübchen-Lachen, sprang mit einem sicheren Satz in das Boot und warf den Motor an.
„Komm, du Landratte“, sagte sie, „jetzt lassen wir dir mal gehörig eine steife Seebrise um die Nase wehen. Wenn wir Glück haben, sehen wir ein paar Delfine oder sogar Wale.“
Ich stieg in das wackelige Boot und verlor dabei fast meine Balance, so dass ich sehr hart auf die Sitzbank
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