Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
passiert.“
Ich musste an Anita denken. Wo war ich da gewesen? Wäre das auch alles nicht passiert, wenn ich besser aufgepasst hätte?
Ich grub ein tiefes Loch unter dem Mandelbaum und zerrte die tote Ziege dorthin. Dann warf ich sie hinein und legte den Kopf oben drauf, bevor ich alles sorgfältig zuschüttete.
Die ganze Zeit war ich von einem unbändigen Zorn beseelt, den Zorn auf die Menschen, die solche Dinge anrichteten. Wer war das gewesen? Wenn ich es nur wüsste, würde ich den Kerl umbringen.
Offensichtlich hatte ich mich fälschlich in Sicherheit gewiegt. Wer wusste von meinen Recherchen und woher?
Hatte der Pfarrer mich etwa verraten? Nein, das hielt ich für ausgeschlossen. Er war mir zu integer, zu vertrauenswürdig erschienen.
War es der Hobbit-Hippie gewesen? Hatte er mich in La Dama doch gesehen und war von dort aus sofort hierher gefahren, um die grausige Tat zu begehen?
Ich erschauerte. Wenn das tatsächlich der Fall wäre, in welcher Gefahr schwebte Isabella, die immerhin mit ihm munter in seinem Schlafmohn-Feld geplaudert hatte?
Ich blickte auf meine Armbanduhr. Es wurde Zeit, mich mit Christina im Valle zu treffen.
Schnell rannte ich ins Haus, duschte, zog mir frische Kleider an und rannte wieder hinaus. Mein Magen knurrte zwar, aber ich könnte ja mit Christina etwas essen gehen. Bevor ich losfuhr, scheuchte ich die Ziegen in ihren Stall und schloss ihn mit dem Schlüssel ab. Die Ziegen sahen mich verwirrt an. Sie schienen zu meinen, dass es doch eigentlich etwas zu früh für die Nachtruhe im Stall sei.
Auf der Fahrt hinunter ins Valle Gran Rey nahm ich mir vor, mir einen bissigen Wachhund zuzulegen. Ich hasste es zwar, wenn ich auf Gomera sah, wie manche Hausbesitzer ihre Hunde hielten. Sie lagen ihr ganzes Leben angekettet unter einem Verschlag, der kaum Schutz vor der erbarmungslosen Hitze der Sonne bot. Wenn man an den Häusern vorbeikam, brachten sie sich vor Verzweiflung fast um. Aber ich wusste von keinem Nachbarn mit so einem Wachhund, dem jemals etwas geklaut wurde, oder bei dem eingebrochen worden wäre. Ich würde morgen zu Pedro fahren. Vielleicht wüsste er jemanden, der mir so einen Hund verkaufen könnte. Außerdem musste ich mich unbedingt um Carlos kümmern und nach ihm sehen. Bis jetzt hatte ich mein Versprechen an Anita diesbezüglich kläglich ignoriert.
Kapitel 21
Christina saß bereits auf der Bank am Babybeach, genau wie wir es abgesprochen hatten. Sie hatte ihre blonden Haare hochgesteckt. Sie trug ein leichtes, sehr edles Sommerkleid. Es war hellgelb und stand ihr gut zu ihrer gebräunten Haut. Ihre Füße steckten in teuren, vermutlich handgemachten Ledersandalen. Ich musste an die Worte der „Mütterlichen“ denken: „die hat sowieso viel zu viele Klamotten“. Na klar, dachte ich, Christina kommt doch wohl von einem betuchten Haushalt. Normale Menschen konnten sich ein Essen im Acueducto gar nicht leisten.
Ich schritt auf die Bank zu und setzte mich neben sie. Sie trug ein exquisites Parfüm, bestimmt irgendetwas von Chanel oder so. Ihre Hippie-Hülle hatte sie anscheinend abgelegt, wie ein Chamäleon, das sich gehäutet hatte.
„Hallo“, sagte sie, „diesmal bist du tatsächlich gekommen.“
„Ja klar“, erwiderte ich.
„Wie heißt du eigentlich“, fragte sie jetzt.
„Ich heiße Jan. Jan Westhoff.“
„Angenehm“, lächelte sie, „und ich bin Christina van Golzen.“
Ich starrte sie an.
„Soll das etwa ein Scherz sein? Die Christina van Golzen?“
Sie nickte stumm.
Ich atmete heftig aus.
Christina van Golzen. Die reiche Erbin der van Golzen Dynastie. Die Klatschspalten waren voll von allem, das ihre Familie betraf. Die van Golzens besaßen ein riesiges Kakaoimperium. Praktisch der komplette deutsche Import wurde von dieser Firma gemanagt, die ihren Sitz in Hamburg hatte.
Diese kleine, zerbrechliche Gestalt, dieses knochige Wesen würde eines Tages den ganzen Betrieb von ihrem Vater erben.
Aber halt! Da fiel mir etwas ein.
Ein Frösteln lief über meinen Körper.
Christinas Vater lebte gar nicht mehr. Ich hatte mit meinen eigenen Augen gesehen, wie man seinen leblosen Körper in einen Zinksarg gehoben und den Deckel darauf gesetzt hatte.
Ich sah sie an.
Obwohl ich die Antwort schon vorweg wusste, fragte ich: „Hat dein Vater seinen Zusammenbruch im Acueducto überlebt?“
Da sagte sie regelrecht zornig: „Natürlich nicht. Das war ja auch gar nicht vorgesehen gewesen.“
Sie war so laut geworden, dass ich mich
Weitere Kostenlose Bücher