Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
Zeltes hockten mindestens zehn Personen, zwei Männer und einige Frauen. Keiner sah älter als dreißig aus. Ich war hier wohl der absolute Senior.
„Dürfen wir hier bei Euch den Moment abwarten, bis der Regen nachlässt?“, fragte ich.
„Aber sicher, doch“, sagte die Mütterliche, „ich mache mir nur Sorgen, dass ihr euch eine Lungenentzündung holt. Ihr seit ja klatschnass.“
„Ist schon okay“, murmelte ich, „es ist nicht mehr weit bis in den Hafen.“
„Ist überhaupt nicht okay“, widersprach sie mir. Dann drehte sie sich um und rief in die Runde ihrer Mitbewohner, die uns alle wie aufgeschreckte Tiere mit ihren Knopfaugen neugierig musterten: „Jetzt sitzt hier nicht herum wie die Ölgötzen! Hat irgendjemand etwas, das er diesen armen nassen Menschen zum Anziehen leihen kann?“
Es kam Bewegung in die Schar. Man wühlte in Seesäcken und Taschen, die von hinter den Matratzenlagern hervorgekramt wurden.
Isabella warf mir einen verzweifelten Blick zu. Sie sagte stumm: „Hilfe! Ich will nichts von den Hippies anziehen müssen. Ich habe Angst vor Flöhen, Läusen, Krätze, Tuberkulose, Hautpilz...und so weiter.“
Doch ich nahm dankbar das T-Shirt an, das mir einer der Kerle anreichte. Es war knatschgrün. Flink zog ich mein durchweichtes Jeanshemd aus, trat an den Eingang und wrang es dort aus. Mindestens ein Liter Wasser floss heraus. Als ich mich umdrehte, um ins Innere des Zeltes zurückzukehren, stießen sich die jungen Frauen gegenseitig die Ellenbogen in die Rippen und musterten meinen Oberkörper. Eine von ihnen pfiff anerkennend und rief kess: „Komm her, schöner Mann, du kannst dich hier bei mir aufwärmen.“
Ich lachte nur und streifte schnell das grüne Hemd über. Vermutlich sah ich jetzt wie ein überdimensionierter Laubfrosch aus. Das würde ihre Leidenschaft schon dämpfen.
Nun griff Isabella mit Todesverachtung nach der weiten Flatterbluse, die eines der Mädchen ihr gab. Sie machte es ganz geschickt, wie meine Oma. Mit der hatte ich einmal das Zimmer teilen müssen. Sie hatte sich ihr Nachthemd übergestülpt und sich komplett darunter umgezogen. Isabella machte es genauso.
Leider, dachte ich heimlich.
Isabella merkte, dass ich ihr dabei zusah und wurde mit einem Mal ziemlich rot. Wie gut, dass sie nicht meine Gedanken lesen konnte.
Ich sah schnell weg, um ihr aus ihrer Verlegenheit zu helfen, da fiel mein Blick auf das Mädchen, dass Isabella die Bluse gereicht hatte.
Es kam mir irgendwie bekannt vor. Wo hatte ich die junge Frau schon einmal gesehen?
Die Mütterliche bot uns einen Sitzplatz auf einer Matte an. Dann holte sie eine reife Avocado, schnitt sie flink auf, entfernte den Kern, salzte sie und drückte uns jeden eine Hälfte in die Hand, dazu auch jeweils einen Löffel.
„Guten Appetit!“, sagte sie, „Ihr könnt jetzt sicher eine Stärkung gebrauchen.“ Sie setzte sich neben uns und freute sich daran, wie wir es uns schmecken ließen.
Die Avocado war köstlich. Ich hatte erst auf Gomera gelernt, wie köstlich Avocados schmecken können. In Deutschland hatte ich sie als grasige Ökonahrung gemieden, wie der Teufel das Weihwasser. Hier reiften sie am Baum und wurden erst geerntet, wenn sie weich und aromatisch waren. Diese hier schmeckte wie Eidotter und zerging auf der Zunge.
Während ich aß, sah ich auf und blickte auf das junge Mädchen. Es saß etwas abseits auf einer Matte und plauderte mit einer Freundin.
Verdammt noch mal, warum fiel mir nicht ein, woher ich sie kannte?
Isabella sah jetzt ebenfalls auf und folgte meinem Blick. Als sie sah, wohin er ging, verfinsterte sich ihr Gesicht und sie starrte verbissen auf ihre Avocado.
Nanu, was hatte sie denn? Irgendwie war ich total abgehängt.
Von einer Sache hatte ich mich bereits beim Betreten des Zeltes vergewissert; der Hobbit-Hippie aus La Dama war hier nicht dabei. Darüber war ich einigermaßen erleichtert.
Die Mütterliche schien zum Plaudern aufgelegt.
„Du und deine Freundin, ihr habt euch ja ein tolles Ausflugswetter ausgesucht“, sagte sie gemütlich.
Ich blickte Isabella an. Jetzt wurde sie wieder rot.
„Ja, es scheint so“, sagte ich nur kurz.
„Seid ihr weit gefahren, mit eurer Nuckelpinne da?“
„Nö. Wir wollten Delfine beobachten“, flunkerte ich.
„Und? Habt ihr welche gesehen?“
„Nö“, sagte ich wieder. Ich fühlte mich bedrängt und eingeengt. Ich mochte nicht ausgefragt werden. Also änderte ich rasch das Thema.
„Ihr habt es richtig nett
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