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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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weggenommen? Bei einer Vergewaltigung wurde eine Frau in der
Regel doch sehr viel intimerer Kleidungsstücke beraubt — nicht ausgerechnet
ihrer Schuhe. Es sei denn, einer der Männer hätte ein perverses sexuelles
Interesse ausgerechnet an Schuhen gehabt — ein Schuhfetischist vielleicht...
    Morse schalt sich einen Narren
und überflog noch einmal die letzten beiden Seiten des Berichts. Ein bißchen
melodramatisch, diese Stelle mit dem Schleusenwärterhaus, das wächtergleich
über dem dunklen Wasser des Kanals aufragte, aber irgendwie auch ganz
beeindruckend, so beeindruckend, daß er entschlossen war, sobald er aus dem
Krankenhaus entlassen worden war, selbst einmal hinauszufahren und es sich
anzusehen. Das heißt, falls die Stadtplaner und -entwickler es nicht hatten
abreißen lassen.
    So wie sie St. Ebbe’s
abgerissen hatten...
     
    Soweit Morses Gedanken, nachdem
er den zweiten Teil gelesen hatte. Es ist nur zu verständlich, daß er
versuchte, über den Text hinausgehend eigene Überlegungen anzustellen, doch ist
gleichzeitig festzuhalten, daß ihm das wirkliche Problem, das er enthielt,
verborgen blieb. Gewöhnlich gelangte Morse aufgrund seines scharfen Intellekts
sehr schnell zu den richtigen Ergebnissen, und auch jetzt waren seine
Schlußfolgerungen ungewöhnlich und brillant zugleich. Doch nicht brillant
genug. Er stand sozusagen zu dicht vor dem Bild, so daß die verschiedenen
Farben ihm vor den Augen verschwammen, ohne daß er eine Struktur hätte erkennen
können. Es wäre richtiger gewesen, er wäre einen Schritt zurückgetreten, dann
hätte eine Zusammenschau der verschiedenen Farben und Formen ihm die
wechselseitigen Verknüpfungen und Beziehungen erhellt. Überhaupt — «Zusammenschau»!
Das war doch einer von Morses Lieblingsbegriffen, und nun wurde er selbst ihm
sowenig gerecht. Eilig überflog er noch einmal Teil II, doch der Gesamteindruck
wurde nicht deutlicher, wenn ihm auch ein paar weitere Details auffielen.
    Die Fahrt durch die beiden
Tunnel zum Beispiel, für deren Dauer Oldfield sich mit Joanna in der Kabine
aufgehalten hatte und — so Morses Spekulation — seine Arme um die junge Frau
gelegt und ihr beruhigend versichert hatte, sie brauche keine Angst zu haben...
    Dann dieser letzte, verwirrende
Abschnitt! Sie war doch offenbar heilfroh gewesen, dem Boot und seiner
betrunkenen Mannschaft zu entkommen, wieso war sie dann so bereitwillig wieder
zurück an Bord gegangen?
    Nun, darüber konnte er nur
Vermutungen anstellen, aber zwei Dinge ließen sich wenigstens exakt nachprüfen.
Das eine betraf die Postkutsche. «Die Abfahrtszeiten waren nicht günstig» hatte
es in der Zeugenaussage geheißen, und diese Behauptung wenigstens müßte sich
bei gründlicher Nachforschung auch heute noch verifizieren beziehungsweise
falsifizieren lassen. Darüber hinaus konnte man sicherlich in Erfahrung
bringen, welche Transportmöglichkeiten Joanna überhaupt zur Verfügung gestanden
hatten, nachdem sie Banbury erreicht hatte, und ebenso mußte doch herauszufinden
sein, was so eine Fahrt in der Postkutsche von Banbury nach London sie gekostet
hätte. Wie hoch mochte der Preis für eine Bahnfahrkarte nach London damals
gewesen sein? Und wenn er nun schon einmal bei Preisen für Bahnfahrkarten war:
Was hatte wohl die Strecke Liverpool-London gekostet? Auf jeden Fall zuviel,
als daß die Franks in ihren eingeschränkten finanziellen Verhältnissen es sich
hätte leisten können.
    Interessant...
    Genauso interessant wie die
Anführungszeichen in Denistons Bericht, die doch wohl zeigen sollten, daß hier
Joanna direkt zitiert wurde. Morse sah sich den entsprechenden Abschnitt näher
an. Joanna hatte sich nach den Abfahrtszeiten «direkter Kutschen nach London
sowie der Kutschen von Oxford nach Banbury» erkundigt. Wenn das exakt Joannas Worte
gewesen waren... Wenn... warum hatte sie dann die Abfahrtszeit der
Kutsche von Oxford nach Banbury wissen wollen und nicht umgekehrt die der
Kutsche von Banbury nach Oxford? Es sei denn...
    Interessant, sehr interessant,
wenigstens für Morse. Und dann diese merkwürdigen Aussagen bezüglich der Frage,
ob Joanna Alkohol zu sich genommen hatte oder nicht. Die Auskünfte waren so
überaus vage gewesen... War es dieser Punkt der Aussagen gewesen, der Deniston
veranlaßt hatte, zu Beginn von Teil II von widersprüchlichen Aussagen zu
sprechen? Aber nein, das war zu unwahrscheinlich. Im übrigen — Mr. Bartholomew
Samuels, der Arzt, der an Ort und Stelle die Obduktion

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