Mord am Oxford-Kanal
durchgeführt hatte,
hatte keinerlei Alkoholspuren in Joannas Körper finden können. Also war die Sache
klar.
Oder wäre es für die meisten
gewesen.
Morse verspürte auf einmal
selbst den Wunsch nach etwas Alkoholischem und goß sich, nachdem er sich
überzeugt hatte, daß man ihn nicht beobachtete, einen Fingerbreit Scotch und
dieselbe Menge Wasser in das Glas auf seinem Nachttisch. Ah, herrlich! Es war
wirklich schade, daß er so wenig Glauben fand mit seiner Behauptung, ein
kleiner Scotch bringe die Gehirntätigkeit erst so richtig in Gang. Und
tatsächlich wurde er, kaum ein paar Minuten später, von Ideen geradezu
überschwemmt — ausgezeichneten Ideen zudem! Plötzlich fiel ihm ein, daß er noch
heute abend Gelegenheit haben würde, zwei, drei seiner Hypothesen überprüfen zu
lassen.
Das heißt, wenn Walter
Greenaways Tochter auch heute wieder zu Besuch kam.
Kapitel 12
Das
wichtigste in einer Bibliothek sind die Regale. Ab und zu kann man natürlich
auch Literatur reinstellen. Aber die Regale sind die Hauptsache.
Finley
Peter Dunne, Mr. Dooley spricht
Als sie am folgenden Morgen um
zwanzig vor acht die Broad Street hinunterging, dachte Christine Greenaway
wieder an den Mann, der sie am vergangenen Abend auf der Station 7 C im
obersten Stock des John-Radcliffe-Krankenhauses angesprochen hatte. Irgendwie
ging er ihr nicht mehr aus dem Kopf. Es war nicht so, daß sie ständig bewußt an
ihn gedacht hätte, eher war es eine Art unbewußten Gefühls. Dabei hatte er sich
nur mit der Bitte an sie gewandt, ob sie wohl in der Bibliothek etwas für ihn
nachschlagen könne. Aber er hatte sie eben so nett gebeten und war ihr so
dankbar gewesen, als sie eingewilligt hatte. Er konnte ja nicht wissen, daß sie
gerne half, ja daß sie genau aus diesem Grund Bibliothekarin geworden war: um
Marksteine auf dem Feld der Geschichte und Literatur ausfindig zu machen und auf
Nachfragen, wenn möglich, die richtigen Koordinaten anzugeben. Schon als
fünfjähriges Mädchen, als ihr die blonden Zöpfe noch bis zur Taille reichten,
hatte sie voller Bewunderung die Frau hinter der hohen Theke beobachtet, wie
sie Buchlaufkarten in die Karteikästen einordnete, und voller Neid zugesehen,
wie sie die Ausleihdaten vorn in die Bücher stempelte und jede Buchlaufkarte in
die entsprechende längliche Tasche steckte. Inzwischen war sie selbst solch
niederer Tätigkeit natürlich längst entwachsen. Die Zeiten, in denen sie Fragen
nach dem Verfasser von Der Wind in den Weiden beantworten mußte, lagen
hinter ihr, sie war jetzt eine von drei Bibliothekarinnen, die im unteren
Lesesaal der Bodleian Library Professoren und Studenten bei ihrer Suche nach Literatur
behilflich waren, indem sie Ausleihscheine überprüfte, Signaturen erläuterte,
weiterführende Bücher empfahl und telefonische Anfragen beantwortete (gestern
erst eine von der Universität Uppsala). Ihre Arbeit war wichtig, und das gab
ihr ein Gefühl der Befriedigung. Natürlich hatte auch sie in ihrem Leben einige
Enttäuschungen verkraften müssen, aber das ging wohl den meisten Menschen so.
Sie hatte mit zweiundzwanzig Jahren geheiratet, zwölf Monate später war sie
bereits wieder geschieden gewesen. Es waren weder eine andere Frau noch ein
anderer Mann im Spiel gewesen—obwohl, was sie anging, sich jede Menge
Möglichkeiten geboten hätten. Nein, sie hatte nach ein paar Wochen einfach
gemerkt, daß ihr Mann unreif war und vollkommen unfähig, Verantwortung zu
übernehmen. Aber der entscheidende Punkt war wohl gewesen, daß er sie
schrecklich gelangweilt hatte. Nachdem sie zusammengezogen waren, zusammen
wirtschafteten und sie den Überblick über seine Ausgaben bekommen hatte, hatte
sie bald gewußt, daß er nicht der richtige Mann für sie war. Seitdem hatte die
Befürchtung, ein neuer Bettgefährte könne sich als ebenso dümmlich und
aggressiv wie ihr Ex-Mann entpuppen, sie vor einer festen Bindung
zurückschrecken lassen. Da sie vollkommen unabhängig war, konnte sie sich ganz
den Dingen widmen, die ihr wichtig waren. So war sie ein, wenn auch nicht sehr
aktives, Mitglied mehrerer Organisationen, darunter Greenpeace, CND, the
Ramblers’ Association sowie der Königlichen Gesellschaft zum Schutz der Vögel.
Und niemals, dessen war sie sich sicher, würde sie sich einer
Heiratsvermittlung bedienen, da sie sich wenig Hoffnungen machte, auf diesem
Weg ein interessanteres Exemplar Mann, als es ihr Ex-Gatte gewesen war,
kennenzulernen. Wenn
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