Mord am Oxford-Kanal
Falle von Towns sozusagen in letzter Minute aufgehoben wurde. Ein
Anwalt machte sich, mit einem entsprechenden Brief versehen, auf den Weg nach
London und wurde dort vom zuständigen Minister zu einem Gespräch vorgelassen.
Das Ergebnis der Unterredung war, daß Towns, beinahe buchstäblich fünf Minuten
vor zwölf, begnadigt wurde. Die frohe Botschaft wurde ihm überbracht, als die
drei Männer gerade vom Gefängnisgeistlichen die Sterbesakramente empfingen.
Towns brach, als er die Nachricht hörte, in Tränen aus, nahm Oldfield und
Musson bei der Hand, küßte sie und wiederholte in einem fort: «Gott segne euch,
meine Freunde! Gott segne euch, meine Freunde!» Er wurde später nach Australien
deportiert und war dort im Jahre 1884 noch am Leben. Ein gewisser Samuel
Carter, der wie Oldfield und Towns aus Coventry stammte und reges Interesse an
lokaler Geschichte hatte, besuchte ihn dort und befragte ihn über den Fall
Franks. Nachdem er nach England zurückgekehrt war, veröffentlichte er ein Buch
über seine Reisen mit dem Titel«Reisen und Gespräche auf den Antipoden». Es
erschien 1886 bei der Farthinghill Press in Nottingham.
Oldfield und Musson wurden in
Oxford öffentlich gehängt, und wenn man den Zeitungsberichten Glauben schenken
darf, haben an die zehntausend Menschen dem makabren Schauspiel beigewohnt.
Schon im Morgengrauen sollen die ersten Schaulustigen auf Mauern, Bäumen und
sogar Dächern gesessen haben, um einen ungehinderten Blick auf das grausige
Geschehen werfen zu können. Der Direktor des Gefängnisses ließ am frühen Morgen
am Tor einen Anschlag anbringen, daß die Hinrichtung erst gegen elf Uhr
stattfinden werde, aber obwohl dies bei der Menge lautstark geäußerten Unmut
hervorrief, wich sie doch nicht von der Stelle, und zur festgesetzten Stunde
war auch nicht ein Fußbreit Boden mehr frei.
Der erste, der aus dem
Gefängnistor trat, war der Geistliche, der mit ernster Stimme die
Beerdigungsliturgie der Kirche von England verlas, hinter ihm kamen Oldfield
und Musson, gefolgt vom Henker sowie dem Direktor des Gefängnisses und einigen
höheren Beamten. Nachdem den Hinzurichtenden zunächst die Hände gefesselt
worden waren, betraten die beiden mit festen Schritten das Gerüst und
kletterten dann ohne fremde Hüfe die Leiter zum Fallbrett empor. Nachdem er
ihnen den Strick um den Hals gelegt hatte, schüttelte der Henker jedem von
ihnen die Hand, dann, während der Geistliche einen Gesang anstimmte, wurde der
todbringende Hebel bewegt, und zwei Minuten später schieden die beiden
Mordgesellen nach vielen heftigen Zuckungen aus dem Leben. Das Ausrenken der
Halswirbel und das Reißen der Jugularvene hatte, wenn auch nicht unmittelbar,
so doch zuverlässig, den Tod bewirkt. Und wieder einmal scheint das grauenhafte
Spektakel des Hängens die sadistischen Gelüste des Pöbels für eine Weile
befriedigt zu haben, jedenfalls zerstreute sich die Menge anschließend, ohne
daß es zu irgendwelchen Störungen oder Gewalttätigkeiten gekommen wäre. Später
wurde bekannt, daß Oldfields letzte Handlung auf dieser Erde gewesen war, dem
Geistlichen eine Postkarte anzuvertrauen, die dieser an seine, Oldfields, junge
Frau überbringen sollte. Auch hier betonte er noch einmal, daß er die Tat, für
die er nun mit dem Tod sühnen sollte, nicht begangen hatte.
Schon kurz nach der Hinrichtung
wurden auf den Straßen Oxfords eilig hergestellte Flugschriften, die
detailliert über den Prozeß und die Hinrichtung berichteten, verkauft und den
Verkäufern buchstäblich aus den Händen gerissen. Selbst die letzte Predigt, die
die Männer um sechs Uhr nachmittags am Sonntag vor ihrer Hinrichtung angehört
hatten, war — einschließlich der genauen Angabe der Bibelstelle, auf die sie
sich bezog — wiedergegeben. Der Text mußte mit zynischer Gefühllosigkeit
ausgesucht worden sein und kann den zum Tode Verurteilten kaum viel Trost
gespendet haben: «Aber sie gehorchten mir nicht, schenkten mir kein Gehör,
sondern waren halsstarrig, trieben es ärger als ihre Väter.» (Jeremia 7, 26)
Das Entsetzen der Bevölkerung
angesichts des Mordes an Joanna Franks wollte auch nach der Bestrafung der
Täter nicht weichen. Geistliche wie auch einfache Gläubige waren der Meinung,
daß etwas unternommen werden müsse, um dem zügellosen Treiben der Schiffer auf
dem Kanal ein Ende zu setzen. Ein großes Hindernis hierbei war natürlich, daß
die Schiffer größtenteils auch sonntags arbeiten mußten und deshalb kaum
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