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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Geldmangel zu sein. Oder? Aber
was, wenn nicht Geld, konnte Joanna in ihren beiden Kisten mitgeführt haben,
das sich zu stehlen lohnte?
    Plötzlich fielen Morse wieder
ihre Schuhe ein. Hatte sie sie absichtlich zurückgelassen? Hatte sie es
genossen, während sie den Treidelpfad entlangschritt, die bloße Erde unter
ihren Füßen zu spüren?
    Was für eine Vielzahl von
Merkwürdigkeiten es doch bei diesem Fall gab! Und je mehr er über alles
nachdachte, um so mehr Fragen tauchten auf. Morse hatte eine Menge Erfahrung in
Fällen wie diesem, wo die Auskünfte des Pathologen und der Spurensicherung
entscheidend für den Ausgang gewesen waren. Was nun aber die Schlußfolgerung
des Doktor Samuels aus Oxford anlangte, so war er eher skeptisch. Für Morse
(obwohl er keinerlei medizinische Ausbildung besaß und überhaupt
naturwissenschaftlich eher ungebildet war) deutete der Zustand von Joannas
Kleid und die beschriebenen Quetschungen ziemlich eindeutig darauf hin, daß sie
von hinten festgehalten worden war und daß der Angreifer/die Angreiferin mit
seiner/ihrer Linken ziemlich brutal Joannas linke Hand gefaßt gehalten und ihr
seine/ihre Rechte fest auf den Mund gedrückt hatte, wo dann Daumen und
Zeigefinger genau die Abdrücke hinterlassen hatten, die sich im
Obduktionsbericht von Samuels beschrieben fanden.
    Und was war mit diesem Burschen
Jarnell? Die Staatsanwaltschaft war doch offenbar anfangs sehr beeindruckt von
dem, was er bereit gewesen war auszusagen. Warum sonst hätte sie auf das bloße
Wort eines Sträflings hin darum gebeten, den Prozeß um sechs Monate
aufzuschieben? Auch der Oberst hatte in seinem Bericht eine überaus
wohlwollende Haltung gegenüber Jarnell eingenommen. Wie aber kam es dann, daß,
als der Mann wie verabredet im zweiten Prozeß aussagte, ihm niemand so recht
zuhörte? Hatte es in der Zwischenzeit irgendwelche Erkenntnisse gegeben, die
das Gericht veranlaßten, die «Geständnisse», die Oldfield ihm angeblich während
ihrer gemeinsamen Zeit in der Zelle gemacht hatte, mit Vorbehalt aufzunehmen
beziehungsweise sie als ganz und gar unwahr abzutun? Merkwürdig, denn eines
immerhin mußte man Oldfield zugestehen: er war die ganze Zeit über seiner
anfänglichen Verteidigungsstrategie treu geblieben. Mindestens dreimal nach Joannas
Tod hatte man ihn sagen hören, daß sie «verrückt», «geistesgestört», «nicht
zurechnungsfähig» gewesen sei... Eine Einschätzung, die ja durchaus gestützt
worden zu sein schien durch die übereinstimmenden Aussagen der übrigen
Mannschaft, daß sie nämlich Joanna mit vereinten Kräften von einem
Selbstmordversuch hätten abhalten müssen. Der einzig wirklich interessante
Punkt, den Jarnell enthüllt hatte, war gewesen, daß Oldfield ihm gegenüber
nicht nur seine Unschuld beteuert, sondern gleichzeitig seine Mannschaft des
Mordes bezichtigt hatte. Kein besonders rühmliches Verhalten, wenn er selber
schuldig war. Und wenn nicht? Wo sonst hätte er dann den oder die Schuldigen
suchen sollen? Damals beim zweiten Prozeß schien es niemanden gegeben zu haben,
der Jarnells beziehungsweise Oldfields Worte einer Prüfung für würdig befunden
hätte. Aber wenn nun alles wahr gewesen wäre?
    Unvermittelt durchzuckte Morse
eine Idee. Im Moment ließ sie sich nicht verwerten, aber er würde sie in seinem
Gedächtnis speichern, für späteren Gebrauch. Und dann überfiel ihn plötzlich
eine Art Erleichterung, als er daran dachte, daß das Ganze ja nur ein Spiel
war, nichts weiter als der Versuch, sich ein paar Krankheitstage möglichst
angenehm und abwechslungsreich zu gestalten, indem er an einem kleinen
intellektuellen Problem herumknobelte. Ganz so, als beschäftigte er sich mit
einem komplizierten Kreuzworträtsel im Listener. Das heißt, eben nicht
so ganz. Irgendwie war es ja doch beklemmend, festzustellen, wie damals eine
Stimmung der Vorverurteilung gegenüber den Männern von der Barbara Bray geherrscht
hatte.
    Der bohrende Zweifel blieb.
Wenn sie nun doch unschuldig gewesen wären...?
     
     
     

Kapitel 17
     
    Die
Kriminalschriftsteller als Gattung sind auf Originalität und Komplikationen
aus, sie neigen dazu, das Offensichtliche geringzuachten und den Angeklagten
freisprechen zu lassen. Sie ruhen denn auch nicht eher, als bis sie über das
Erwartete und Bekannte hinausgegangen sind und eine neue und überraschende
Lösung des Problems präsentieren können.
     
    Dorothy
L. Sayers, Der Mord an Julia Wallace
     
     
    Die Überlegung, daß

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