Mord am Oxford-Kanal
Mit den beiden Büchern unter dem Arm kehrte er befriedigt in sein Zimmer
zurück.
Walter Algernon Greenaway saß
im Bett und versuchte schon seit einiger Zeit, wenn auch nur mit geringem
Erfolg, das Kreuzworträtsel in der Oxford Times zu lösen. Er besaß wenig
Übung, aber Kreuzworträtsel hatten ihn schon immer fasziniert, und als er am
Tag zuvor beobachtet hatte, wie Morse in nur zehn Minuten das Kreuzworträtsel
in der Times ausgefüllt hatte, hatte er einen Stich von Neid gefühlt.
Morse lag kaum wieder im Bett, als Greenaway (von seinen Freunden natürlich
«Waggie» genannt - wie auch sonst) ihn ansprach.
«Sie haben doch Übung mit
Kreuzworträtseln...»
«Etwas.»
«Hier steht: drei waagerecht
(berühmteste Ente>.»
«Wie viele Buchstaben?»
«Sechs.»
«Na, vielleicht denken Sie mal
an Walt Disney.»
Greenaway leckte an der Spitze
seines Bleistifts und dachte an Walt Disney. Vergeblich.
«Wer hat denn das
Kreuzworträtsel diese Woche gemacht?» erkundigte sich Morse.
«Ein Bursche, der sich
nennt.»
Morse lächelte. «So ein Zufall.
Wie lautet denn dann wohl sein Vorname?»
«Ah! Ich glaube, ich habe es!»
krähte Waggie und füllte glücklich die sechs Felder aus.
Kapitel 23
Alles,
was die Menschheit je getan, gedacht oder erreicht hat, und alles, was sie je
gewesen ist, findet sich wundersam bewahrt auf den Seiten von Büchern.
Thomas
Carlyle
Embarras de richesses — selbst wenn Morse den ganzen
Tag zwischen den Regalen der Summertown Bibliothek herumstöberte, würde er
vermutlich kaum zwei informativere Bücher finden als die beiden, die er soeben
durch Zufall entdeckt hatte.
So bezog er aus dem Buch Viktorianisches
Banbury die Information, daß um 1850 die Fernkutschen-Routen über Banbury
nach London wegen der Neueröffnung der Bahnstrecke Oxford-London fast ganz
aufgegeben worden waren. Aus demselben Grund war der Kutschenverkehr zwischen
Banbury und Oxford jedoch noch verstärkt worden, so daß die Verbindung zwischen
den beiden Orten, die ja nur etwa dreißig Kilometer auseinanderlagen, in den
fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts ausgesprochen günstig
war. Darüber hinaus nannte das Buch jedoch auch noch die genaue Zahl der
Kutschen, die an einem bestimmten Tag fuhren, und gab die Abfahrtzeiten an,
Angaben, die auch Joanna Franks auf ihre Nachfragen vermutlich mitgeteilt
worden waren. An jenem Tag im Jahre 1859 hätte sie die Wahl gehabt zwischen
drei verschiedenen Kutschen, die alle am Swan Inn in Banbury abgingen und zum
Angel Inn in der Oxforder High Street fuhren. Der Preis für die Strecke
Banbury-Oxford betrug damals zwei Shilling, einen Penny. Fast noch
aufschlußreicher war für Morse das zweite Buch, das über die damaligen
Zugverbindungen zwischen Oxford und Paddington Station in London informierte.
Die Züge hatten damals sehr viel häufiger verkehrt und waren auch wesentlich
schneller gewesen, als Morse angenommen hatte. Und auch hier war wieder davon
auszugehen, daß Joanna dieselben Informationen gehabt hatte, daß es nämlich
werktags regelmäßig zehn verschiedene Züge gab, die jeweils um 2.10 Uhr, 7.50
Uhr, 9.00 Uhr, 10.45 Uhr, 11.45 Uhr, 12.50 Uhr, 14.45 Uhr, 16.00 Uhr, 17.50 Uhr
und 20.00 Uhr fuhren. Der Fahrpreis war allerdings ziemlich happig: Für die
Reise erster Klasse verlangte man sechzehn Shilling, für die zweiter zehn und
für die dritter Klasse immer noch sechs Shilling. Dabei betrug die Entfernung
zwischen Oxford und London doch nur etwa neunzig Kilometer! Der Verfasser des
Werkes über den Bahnknotenpunkt Oxford war aber immerhin fair genug zuzugeben,
daß der damalige Reisende auch eine von drei Kutschen hätte nehmen können. Die
Fahrt hätte allerdings viel länger gedauert als mit der Bahn. Die Kutschen
benutzten die gebührenpflichtigen Landstraßen über Henley und Reading. The
Blenheim und The Prince of Wales fuhren beide um 10.30 Uhr morgens
los, die dritte Kutsche, The Rival, eine Stunde später. Der Fahrpreis
lag bei allen drei Kutschen um einen Shilling niedriger als die Bahnfahrkarte
dritter Klasse. Endpunkt aller Fahrten nach London war (ausgerechnet!) die
Edgware Road.
Morse versuchte für ein paar
Minuten, sich in Joanna hineinzuversetzen, eine Joanna, die sich (davon mußte
er doch schließlich ausgehen) in großer Bedrängnis befunden hatte. Bei ihrer
Ankunft in Banbury am späten Abend war sie vermutlich sehr bald im Bilde
gewesen über mögliche
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