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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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während sie den apfelgrünen Metro auf dem Parkplatz (nur für
Mitarbeiter des Krankenhauses) abstellte und noch während sie sich in der
Garderobe im Keller umzog — die ganze Zeit über ging ihr der Zwischenfall von
gestern abend, oder besser: heute früh, nicht aus dem Kopf. Die Arbeit gleich
würde sie ablenken, das wußte sie, und das war gut so. Sie hatte es bisher
geschafft, zu allen Patienten ein freundliches, aber distanziertes Verhältnis
zu unterhalten — bloß nicht auch noch emotionale Verwicklungen am Arbeitsplatz
— , und sehnte sich jetzt geradezu nach ein paar Stunden friedlicher Routine,
bei denen sie den gestrigen Abend vergessen konnte. Ja, es stimmte schon, sie
hatte tatsächlich ein bißchen zuviel getrunken und ein bißchen zu heftig
geflirtet — und dabei hatte sie den Mann erst an diesem Abend kennengelernt.
Zum Glück hatte sie keinen Kater — oder vielleicht doch? Durch den ganzen Streß
hatte sie gar nicht richtig darauf geachtet, wie sie sich fühlte. Aber das war
jetzt auch egal. Es war höchste Zeit, daß sie ihre eigenen Schwierigkeiten
beiseite schob, um offen zu sein für die Probleme anderer.
    Sie hatte gesehen, wie Morse zum
Aufenthaltsraum gegangen war (und er hatte sie gesehen!), und hatte auch
registriert, wie er eine halbe Stunde später zurückgekehrt war, sich ins Bett
gelegt und zu lesen begonnen hatte. Anscheinend ein Büchernarr, dachte sie.
Aber sympathisch. Vielleicht würde sich im Laufe des Nachmittags die
Gelegenheit ergeben, sich ein bißchen mit ihm zu unterhalten — vorausgesetzt,
er legte sein Buch mal beiseite. Doch das tat er nicht.
    Um zwanzig vor acht, sie war
gerade mit dem Verteilen der Medikamente für die Nacht fertig geworden, blickte
sie wieder zu ihm hinüber und bemerkte die Frau, die an seinem Bett saß. Sie
trug ein dunkelblaues Kleid, ihr Haar schimmerte zwischen Rot und Gold. Das
regelmäßige, feingeschnittene Gesicht war ganz Morse zugewandt. Sie schienen
ihre Unterhaltung zu genießen, die so ganz anders wirkte als die übliche
Patienten-Besucher-Konversation, die sich meist, nach lebhafter Begrüßung, nur
so dahinschleppt. Zweimal sah sie, wie die Frau, während sie redete, Morse mit
der Hand leicht am Arm berührte. Ihre Hände waren schmal und langfingrig —
Musikerinnenhände. Und Morse? Seine Strategie schien es zu sein, sie durch ein
halb überhebliches, halb entgegenkommendes Lächeln und intensiven Augenkontakt
für sich einzunehmen. O ja, sie konnte sich sehr gut vorstellen, was in den
beiden jetzt vorging — eigentlich schon peinlich, wie sie sich benahmen. Aber
gleichzeitig wußte Eileen, daß sie sie beneidete — vor allem die Frau, Waggies
raffinierte Tochter. Von den wenigen Malen, die sie mit Morse ein paar Worte
gewechselt hatte, glaubte sie zu wissen, daß es interessant sein mußte, sich
mit ihm zu unterhalten. Vielleicht, weil er ein interessantes Leben führte? Sie
hatte bisher nur selten Männer wie ihn kennengelernt, Männer mit Bildung, die
Bescheid wußten über Architektur, Geschichte, Literatur, Musik... alles Dinge,
über die sie sich nur zu gerne unterhalten hätte. Plötzlich fühlte sie sich
erleichtert, daß ihr Freund sie heute abend sicherlich in Ruhe lassen würde. So
hatte die Prügelei doch noch ihr Gutes!
    Da bemerkte sie, daß ein Mann
vor ihrem Schreibtisch stand, er wartete offenbar schon länger.
    «Kann ich etwas für Sie tun?»
erkundigte sie sich etwas verlegen.
    Sergeant Lewis nickte und
beugte sich vertraulich zu ihr nieder: «Spezielle Anordnung. Ich muß jedesmal,
wenn ich dem Chief Inspector wieder Plastiksprengstoff bringe, beim Boss
Bescheid sagen. Der sind Sie doch, oder?»
    «Sie dürfen Schwester Maclean
wegen ihrer Anordnung nicht böse sein!» sagte Eileen lächelnd.
    Lewis schüttelte den Kopf. «Ich
doch nicht — er!» Er deutete zu Morse hinüber. «Er sagt, sie sei eine
streitsüchtige, zickige, alte... na, Sie wissen schon.»
    Eileen mußte wieder
lächeln.«Sie ist manchmal nicht besonders taktvoll», gab sie zu.
    «Es... äh... sieht so aus, als
hätte er gerade Besuch.»
    «Ja.»
    «Dann sollte ich ihn jetzt
vielleicht lieber nicht stören, er kann manchmal ziemlich gereizt reagieren.»
    «So?»
    «Besonders wenn...»
    Eileen nickte und blickte etwas
genervt zu ihm hoch. Sie wußte nur zu gut, wovon er sprach. Doch als sie sein
treuherziges Lächeln sah, war sie schon fast wieder mit den Männern versöhnt.
    «Wie ist er denn so — der Chief
Inspector?» fragte sie

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