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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Fahrverbindungen. Sofort weiterzureisen war
ausgeschlossen, aber es hätte jederzeit für sie die Möglichkeit bestanden,
irgendwo in Banbury zu übernachten, vielleicht in einem der kleinen Wirtshäuser
am Kai. Zugegeben, das waren keine vom Englischen Automobilclub empfohlenen
Vier-Sterne-Hotels, aber als Quartier für eine Nacht doch sicherlich gut genug
und vermutlich auch sehr billig. Morse schätzte, daß eine Übernachtung in einem
dieser kleinen Wirtshäuser damals so um die zwei Shilling gekostet haben
mochte. Am nächsten Morgen dann hätte sie eine Kutsche nach Oxford nehmen
können, die um halb zehn zum Beispiel, und wäre gegen dreizehn Uhr in der
dortigen High Street angekommen. Das hätte geheißen, daß sie ohne
Schwierigkeiten noch den Zug um 14.45 Uhr nach Paddington bekommen hätte, aber
es hätte auch noch drei spätere Züge gegeben, für den Fall, daß die Pferde etwa
nicht ganz frisch gewesen wären und die Kutsche Verspätung gehabt hätte. Alles
im Grunde also ganz einfach. Wenn feie irgendwann also tatsächlich entschlossen
gewesen wäre, ihren Peinigern zu entkommen, dann hätte sie auch die Möglichkeit
dazu gehabt. Morse überlegte. Zwei Shilling für die Übernachtung, zwei Shilling
und einen Penny für die Fahrt mit der Kutsche und sechs Shilling für eine
Fahrkarte dritter Klasse Oxford-London, das hieß, daß sie für wenig mehr als
zehn Shilling die Chance gehabt hätte, sich in Sicherheit zu bringen. Sie hätte
ohne große Mühe und Kosten ihr Leben retten können.
    Aber sie hatte die Möglichkeit
nicht genutzt. Warum nicht? Während des Prozesses war angeklungen, daß sie kein
Geld bei sich gehabt hatte, nicht einen Penny, geschweige denn fast eine halbe
Guinee. Aber hatte sie denn gar nichts, wirklich gar nichts bei sich gehabt,
was sie hätte verkaufen oder verpfänden können? Was, zum Teufel, war denn in
den beiden Kisten gewesen, die sie mit an Bord gebracht hatte? Sollten sie
wirklich nur wertloses Zeug enthalten haben? Und wenn dem so war, wieso war
dann die Mannschaft der Barbara Bray des Diebstahls verdächtigt worden?
Morse zog irritiert die Stirn in Falten. Gütige Götter — wenn ich doch nur
einen Moment die Möglichkeit hätte, einen Blick in Joannas Kisten werfen zu
können! Es war siebzehn Uhr, gleich würde der Tee kommen, und Morse wußte noch
nicht, daß sein Wunsch erhört worden war — oder beinahe.

Kapitel 24
     
    Magnus
Alexander corpore parvus erat
    Nicht
einmal Alexander der Große hätte den Größenanforderungen der Polizei genügt
     
    Lateinisches
Sprichwort
     
     
    Am John-Radcliffe-Krankenhaus
wurde in drei Schichten gearbeitet: Frühschicht (7.45 Uhr bis 15.45 Uhr),
Spätschicht (13.00 Uhr bis 21.30 Uhr) und Nachtschicht (21.00 bis 8.15 Uhr).
Eileen Stanton, deren biologischer Rhythmus mehr dem einer Eule als dem einer
Lerche glich, hatte nichts gegen die Nachtschicht einzuwenden. Die Nacht war
ihr mit ihrem eher melancholischen Gemüt wesensverwandt. Aber diese Woche war
keine normale Woche gewesen, und so arbeitete sie heute in der Spätschicht.
    Sie hatte mit neunzehn Jahren
geheiratet, war mit zwanzig schon wieder geschieden gewesen und lebte jetzt,
fünf Jahre nach dieser Enttäuschung, mit einem fünfzehn Jahre älteren Mann
zusammen draußen in Wantage. Gestern nun hatte er seinen vierzigsten Geburtstag
gefeiert (deshalb die Umstellung ihres Dienstplanes). Die Party war zunächst
ein voller Erfolg gewesen, die Gäste hatten sich großartig amüsiert, bis der
Gastgeber kurz nach Mitternacht plötzlich aus lächerlichem Anlaß einen Streit
vom Zaun gebrochen hatte, der mit tätlichen Auseinandersetzungen geendet hatte.
Und sie selbst war der Anlaß dafür gewesen. Wenn im Kino oder im Fernsehen der
Held so richtig mit der Eisenstange eins über den Kopf bekommt, dann steht er
danach sofort wieder auf, schüttelt sich ein bißchen, und weiter geht’s. Im
tatsächlichen Leben enden Gewalttätigkeiten allerdings meistens nicht so
glimpflich, nicht selten landen die Opfer auf der Intensivstation, wenn sie
Pech haben, mit Hirnschaden. Auch ihr Freund hatte gestern ganz schön etwas
abbekommen. Durch einen Faustschlag ins Gesicht war die Oberlippe geplatzt (es
hatte schrecklich geblutet), und einer der beiden Vorderzähne war an der Wurzel
abgebrochen. Alles in allem hatte der Streit weder seinem Aussehen noch seinem
Stolz gutgetan, die Party war vorbei gewesen, und sie selbst schrecklich
enttäuscht.
    Während der Fahrt mit dem Auto
nach Oxford,

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