Mord am Vesuv
wenn - dieser junge Mann hatte mit dem Geschäft seines Vaters nichts zu tun. Er will auch gar nichts damit zu tun haben. Sein innigster Wunsch ist es, nach Numidien zurückzukehren und dort das Leben eines Ehrenmannes zu führen.« Dass das Leben eines numidischen Ehrenmannes nach römischen Maßstäben nichts anderes war als wildes Banditentum, verschwieg er wohlweislich.
»Wie ihr alle wisst«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »war ich selber die längste Zeit meines Lebens ein Sklave, und selbst ich mache diesem jungen Mann das Geschäft seines Vaters nicht zum Vorwurf. Der arme Gelon hat nun aber nicht nur das Mädchen verloren, das er aus ganzem Herzen liebte nein, er sieht sich auch noch dem ungerechtfertigten Vorwurf ausgesetzt, seine Angebetete ermordet zu haben! Diese niederträchtige Verleumdung entbehrt jeder Grundlage! Dass er überhaupt unter Verdacht steht, hat er allein der Gehässigkeit des Apollopriesters Diocles zu verdanken. Ich selber bin voller Mitgefühl für Diocles. Wer könnte auch so hartherzig sein, den Kummer eines trauernden Vaters nicht zu verstehen, der seine schöne und untadelige Tochter verloren hat. Doch in seinem Kummer hat er sich zu einer ungerechten Anklage hinreißen lassen. Sein einziger Grund, Gelon für den Mörder zu halten, besteht darin, dass er ihn seiner Tochter nicht für würdig erachtet hat. Diocles hat seiner Tochter den Umgang mit Gelon verboten und ihm sogar den Zugang zum Tempel und zum Tempelbezirk untersagt. Pflichtbewusst wie sie war, hat Gorgo ihrem Vater gehorcht, doch Gelon hat sich nicht an das Verbot gehalten.« Bei diesen Worten zeigte er mit großer Geste auf seinen gefährdeten Schützling. »Und wer könnte von der übermütigen Jugend auch etwas anderes erwarten? Schon die frühsten Erzählungen der Griechen zeugen bekanntlich davon, dass die ungestümen Leidenschaften der Jugend auch durch den Groll der Eltern nicht zu bändigen sind. Seht ihn euch an!« Er ließ seinen ausgestreckten Arm von oben nach unten gleiten, um die Blicke auf den ansehnlichen Körper des Jungen zu lenken.
»Sieht er nicht aus wie ein junger Gott? Ist er nicht gekleidet und benimmt er sich nicht wie ein junger Prinz? Habt ihr ihn in den Tagen seiner Freiheit nicht alle in voller Pracht auf seinem geschmückten Pferd gesehen, begleitet von seinen numidischen Leibwächtern, edel und anmutig wie Alexander der Große, als er in Persepolis einritt?«
Für seine Eloquenz zollte ihm die Menge Beifall. Einige Zuhörer nickten zustimmend, andere bekundeten lauthals, dass der Junge in der Tat recht ansehnlich aussehe und wie man überhaupt dazu komme, so einen schönen jungen Mann zu verdächtigen. Ich hatte schon öfter festgestellt, dass man vor Gericht umso eher mit einem Freispruch rechnen konnte, je besser man aussah. Irgendetwas in uns setzt Hässlichkeit mit Schuld gleich und Schönheit mit Unschuld. Dabei hatte ich oft genug erlebt, dass auch die schönsten Frauen und die ansehnlichsten Männer sich als schlimme Verbrecher entpuppen können. Aber wie dem auch sei, mit dem Hinweis auf das erfreuliche Äußere seines Mandanten konnte man vor Gericht immer Punkte machen.
»Und während Gelon sich in Gewahrsam befand«, fuhr Tiro fort, »wurde, um sein Leid noch zu vergrößern, auch noch sein Vater ermordet! Von einem unbekannten Angreifer erstochen, während der Sohn ihn weder schützen noch rächen konnte! Und nur der Großzügigkeit des Praetors hat er es zu verdanken, dass er wenigstens der Bestattung seines Vaters beiwohnen konnte.
Ich frage euch: Ist das Gerechtigkeit?« Viele schienen Tiro zuzustimmen, dass Gelon wirklich zu bedauern war.
»Aber selbst an diesem Punkt hatte das Leid des Gelon noch kein Ende!«, rief Tiro und bebte vor gespielter Entrüstung. »Auf dem Rückweg von der Trauerfeier zur Villa des Praetors gerieten sie in einen Hinterhalt und wurden vor den Toren dieser Stadt von Banditen überfallen! Das Ziel dieser Verbrecher war es, Gelon zu töten, und im Kampf um sein Leben fanden zwei seiner ergebenen numidischen Leibwächter den Tod. Glaubt ihr tatsächlich, dass dieser gemeine Überfall und die Ermordung der untadeligen Gorgo nichts miteinander zu tun haben?« In der Menge erhob sich ein zustimmendes Gegrummel. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Geschworenen. Sie schienen nicht im Geringsten beeindruckt.
»Diese Banditen sollten Gelon töten, und nur die Tapferkeit römischer Männer und die Ergebenheit seiner numidischen
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