Mord am Vesuv
fort. »Ich bin durchaus geneigt, Truppen herzubeordern, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Pompeius hat in der Nähe von Capua ein Übungslager, und ich bin sicher, dass er mir gerne ein oder zwei Kohorten zur Verfügung stellen würde, wenn ich hier das Kriegsrecht verhängen möchte.«
»Praetor!«, meldete sich Norbanus, der duumvir, zu Wort.
»Du machst zu viel Aufhebens um die Sache. Das war ein ganz gewöhnlicher Überfall. Welche Leute reisen denn normalerweise auf dieser Straße? Wohlhabende Bürger, Händler und Geschäftsleute mit ihrer Gefolgschaft - Leute also, die Banditen reiche Beute versprechen. Außerdem war es düster und hat geregnet, stellenweise war es sogar neblig. Diese Kerle haben einfach nicht gesehen, dass sie es mit einem gut ausgerüsteten Trupp erfahrener Kämpfer und Krieger zu tun hatten, und als sie es gemerkt haben, war es zu spät.«
»Genau, Praetor«, pflichtete Manius Silva ihm bei. »Wenn der Vulkan sich regt, haben wir hier immer mehr Banditenüberfälle als sonst.«
»Der Vulkan?«, fragte ich entgeistert, nicht ganz sicher, ob ich richtig gehört hatte.
»Ja, ja«, bestätigte Norbanus. »Du musst wissen, dass die Banditen oben im Krater ihren Unterschlupf haben. Das ist schon seit Jahrhunderten so. Damit sie nicht von ihnen überfallen werden, versorgen die Bauern aus der Gegend sie mit allem Nötigen. Meistens geben die Banditen sich damit zufrieden, und da nur ein paar schmale Pfade in den Krater führen, fühlen sie sich da oben ziemlich sicher. Doch wenn der Vulkan rumort, werden sie vom zunehmenden Rauch und Ascheregen vertrieben und überziehen die Umgebung mit Überfällen, bis der Berg sich wieder beruhigt.« Alle Umstehenden bestätigten seine Ausführungen mit einem zustimmenden Nicken.
»Ihr seid doch der nutzloseste, degenerierteste Haufen ganz Italias! Ihr wollt mir wirklich erzählen, dass ihr vor eurer Haustür eine komplette Kolonie von Banditen duldet! Warum geht ihr nicht einfach hoch und macht ihnen den Garaus?«
»Wir sind hier in Kampanien, Praetor«, erwiderte Norbanus steif. »Und hier ist man schon immer so verfahren.«
»Wenn irgendein Irregeleiteter beschließt, sich außerhalb der Gesellschaft zu stellen«, ergriff Norbanus' Frau Rutilia das Wort, »bietet ihm der Vesuv einen Ort, an den er sich zurückziehen kann. Das ist uns allemal lieber, als dass er sich in unseren Städten herumtreibt und uns im Schlaf ermordet.«
Ich wandte mich Cicero zu. »Ob Cato vielleicht doch Recht hat? Ob die Leute hier so geworden sind, weil sie zu viel geschlemmt und zu lange in Saus und Braus gelebt haben?«
»Dieser Tag dürfte dir noch einige weitere Probleme bescheren, De-cius«, erwiderte der ehemalige Konsul, ohne auf meine Frage einzugehen.
Ich schloss die Augen und seufzte einmal tief. »Was ist denn noch wieder passiert?«
»Äh«, begann Silva zögernd, »also, Praetor, du musst wissen … nun gut, es hat in der Stadt einen weiteren Mord gegeben.
Genau genommen wurde er heute Morgen entdeckt.«
»Niemand Wichtiges«, fügte Norbanus schnell hinzu. »Nur eine Sklavin.«
»Was für eine Sklavin?«, fragte ich, Böses ahnend.
»Eine Ausreißerin«, erwiderte er. »Sie wurde bereits identifiziert: ein Mädchen, das im Apollotempel gearbeitet hat.«
Für eine Weile sagte ich kein Wort, und wohlweislich störten sie mich nicht in meinen Überlegungen. Schließlich fasste ich einen Entschluss.
»Ich werde in die Stadt ziehen. Sorgt dafür, dass mir ein Haus zur Verfügung steht. Kein einziges Schiff verlässt den Hafen, und ohne meine ausdrückliche Erlaubnis passiert niemand eines der Stadttore. Ich werde umgehend Truppen anfordern, um meiner Amtsautorität hier Geltung zu verschaffen. Ihr könnt euch derweil als belagerte Stadt betrachten, bis ich herausgefunden habe, was hier vorgeht, und die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet habe, um die Ordnung wieder herzustellen.«
»Das kannst du nicht tun!«, schrie Silva. »Dafür brauchst du einen Be-schluss des Senats! Außerdem ruinierst du damit unsere Geschäfte!«
»Das kann er sehr wohl tun«, klärte Cicero ihn auf. »Bis der Senat einen Beschluss gefasst hat, kann er aufgrund des Imperiums jederzeit das Kriegsrecht verhängen. Und Pompeius wird ihm sicher gerne den Rücken stärken. Gerade jetzt wünscht er in Kampanien klare Verhältnisse.«
Jeder wusste, was er meinte. Der Senat missbilligte Caesars eigenmächtiges Vorgehen und schlug sich zusehends auf Pompeius' Seite,
Weitere Kostenlose Bücher