Mord am Vesuv
übler zugerichtet als der vordere Teil ihres Körpers, aber sie hatte keine Stichwunden. Außerdem war ihr Kopf unversehrt; man hatte ihr also nicht den Schädel eingeschlagen.
Ich gab den Gehilfen ein Zeichen, dass sie die Leiche wieder zudecken konnten.
»Hast du eine Ahnung, wann sie gestorben ist?«, fragte ich den Leichenbestatter.
»Irgendwann gestern Abend, vermute ich, weil die Totenstarre bereits eingesetzt hat. Wenn sie schon länger tot wäre, hätte sie wahrscheinlich Bisse von Aasfressern und alle möglichen anderen Anzeichen.«
»Weißt du, wer die Tote ist?«
»Jemand hat behauptet, sie sehe aus wie eine Sklavin aus dem Apollotempel. Angeblich war sie eine der persönlichen Sklavinnen der ermordeten Priestertochter. Ich habe schon einen Boten zu dem Priester geschickt, aber bisher haben wir noch keine Antwort erhalten.«
»Ich werde mich um sie kümmern«, sagte ich. »Ich werde ihre Bestattungsfeier und ihre Beisetzung bezahlen.«
»Bestattungsfeier?«, fragte der Leichenbestatter entgeistert.
»Du hast doch gehört, was ich gesagt habe. Sie wird mit allen erforderlichen Zeremonien verbrannt und anständig beigesetzt.«
»Wie du wünschst, Praetor.«
Die Würdenträger hinter mir verharrten regungslos und mit versteinerten Gesichtern. Bestimmt glaubten sie, dass ich komplett übergeschnappt war. Als ich mich dann auch noch zu dem toten Mädchen hinabbeugte und es beschnupperte, wichen sie entsetzt zurück. Natürlich habe ich den gleichen Abscheu vor Leichen wie jeder andere auch, aber bestimmte Dinge müssen einfach getan werden.
»Der Praetor sammelt Beweismaterial«, sagte Hermes in einem Tonfall, der ihnen deutlich zu verstehen gab, dass sie besser den Mund hielten.
Ich erkannte ganz schwach den Geruch von Pferden. Ob sie sich in einem Stall versteckt hatte? Allerdings sah ich in ihrem Haar keinerlei Stroh- oder Heureste. Doch da war noch ein anderer, etwas schwächerer Geruch: der Duft nach diesem Parfüm mit dem viel versprechenden Namen »Zarathustras Verzückung«. Ich richtete mich auf. »Ist die Leiche gewaschen worden?«
»Nein«, erwiderte der Leichenbestatter. »Sie ist noch in dem Zustand, in dem sie gefunden wurde. Aber da sie ja nun eine richtige Bestattung bekommen soll, werden wir sie natürlich entsprechend vorbereiten.«
»Dann legt am besten gleich los«, entgegnete ich und wandte mich zu meinen Begleitern aus Baiae um. »Und jetzt will ich wissen, wo und unter welchen Umständen sie gefunden wurde.«
Silva machte ein Zeichen, woraufhin ein Mann in protziger militärischer Rüstung vortrat. Ich erkannte in ihm den Anführer der städtischen Wachen wieder.
»Heute Morgen kurz nach Sonnenaufgang«, begann er, »wurde ich darüber informiert, dass man bei der öffentlichen Waschstelle die Leiche einer jungen Frau gefunden hatte. Ich …«
»Führ mich dorthin«, schnitt ich ihm das Wort ab. Den Rest seines Berichts wollte ich lieber direkt am Fundort hören.
Wir verließen das Tempelgelände, durchquerten mit großem Anhang die Stadt und passierten eines der seitlichen Stadttore.
Da Baiae ziemlich klein ist, brauchten wir nicht lange.
»Ich muss schon sagen, Praetor«, wandte sich Norbanus an mich, »dafür, dass es sich bei der Leiche um eine ausgerissene Sklavin handelt, veranstaltest du einen ganz schönen Wirbel.«
»Seid ihr wirklich alle so begriffsstutzig«, entgegnete ich, »oder tut ihr nur so, um mich auf den Arm zu nehmen?« Ich starrte wütend in die Runde, aber niemand sagte ein Wort. »Erst wurde Gorgo ermordet, die Tochter des Priesters. Jetzt wurde ihre persönliche Sklavin ebenfalls ermordet. Selbst dem dümmsten Bauern muss doch klar sein, dass die beiden Taten miteinander in Verbindung stehen und die Untersuchung des Mordes an diesem unglückseligen Sklavenmädchen deshalb genauso wichtig ist wie die Aufklärung des Mordes an Gorgo.«
Ich hätte genauso gut auf Parthisch zu ihnen sprechen können.
Wenn Leute es gewöhnt sind, nur in Kategorien wie Rang, Status, Hierarchiestufen und so weiter zu denken, fällt es ihnen schwer oder ist es ihnen sogar unmöglich, andere Gedanken an sich heranzulassen. Ich hatte ja schon oft genug erlebt, dass selbst hochgeborene Römer meinen Überlegungen nicht folgen konnten, aber wenn ich genau darüber nachdenke, trifft das im Grunde genommen auf alle Römer zu.
Die öffentliche Waschstelle lag gleich vor dem Stadttor.
Obwohl es nur ein Platz war, an dem Frauen und Sklaven ihre schmutzige Wäsche
Weitere Kostenlose Bücher